Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.4.2016 (§ 45 BRAO)

Stellungnahme vom 11.10.2016

Der Deutsche Notarverein dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme.

 

I.

Vorausgeschickt wird, dass wir weder über besondere Fachkompetenz auf dem Gebiet des Verfassungsrechts noch des anwaltlichen Berufsrechts verfügen. Wir können kein Urteil darüber abgeben, ob der Beschwerdeführer durch § 45 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 BRAO selbst oder durch dessen Anwendung in seinen Grundrechten verletzt ist. Diese Differenzierung scheint uns – ebenso wie das Schutzgut des § 45 BRAO – in dem uns übersandten Aktenmaterial noch nicht hinreichend deutlich vorgenommen zu sein.

 

II.

Wir verstehen unsere Beteiligung als eine Bitte des Gerichts, uns aus notarrechtlicher Sicht zu äußern. Unseren nachfolgenden Überlegungen liegt daher folgender hypothetischer und zugegebenermaßen sehr konstruierter Fall zugrunde.

Notar (bzw. Rechtsanwalt und Notar) N ist Vorsitzender des Beschwerdeausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung für das Gebiet B („KV-B“) im Sinne von § 106 Abs. 4 Satz 2 SGB-V. Die KV-B fordert von ihrem Mitglied, dem niedergelassenen Arzt A zu viel bezahlte Honorare zurück. A wendet sich an den Beschwerdeausschuss. Dieser weist sein Rechtsmittel zurück. Wegen Liquiditätsproblemen seiner Praxis bittet A die KV-B um Stundung und Ratenzahlung. Die KV-B will dieser Bitte nur dann entsprechen, wenn A zur Sicherung der Forderung ein Grundpfandrecht an seinem Hausgrundstück stellt.

Darf N diese Grundpfandrechtsbestellung beurkunden?

Aus der Sicht des notariellen Berufsrechts wirft der Fall zwei Fragen auf:

  1. Darf ein Notar das Ehrenamt des Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses nach § 126 Abs. 4 SGB-V überhaupt übernehmen?
  2. Wenn Frage 1 bejaht wird, darf er in Angelegenheiten, in denen er als Vorsitzender des Beschwerdeausschusses tätig war, beurkunden?

 

Zu Frage 1:

Das Amt des Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses nach § 126 Abs. 4 SGB-V ist ein Ehrenamt. Mangels „Vergütung“ kann ein Notar dieses Amt übernehmen, ohne dass es einer Nebentätigkeitsgenehmigung bedarf, § 8 Abs. 3 Nr. 1 BNotO e contrario.

Im Übrigen ist der Beschwerdeausschuss funktional einem Gericht ähnlich. Hierfür spricht § 126 Abs. 5 Satz 5 SGB-V i.V.m. §§ 84 Abs. 1 und 85 Abs. 3 SGG und die Verweisung des § 135 Abs. 5 Satz 6 SGB auf § 78 SGG. Insbesondere spricht § 126 Abs. 4 Satz 2 dafür, dass jedenfalls sein „unparteiischer Vorsitzender“ einer richterähnliche Stellung hat, vergleichbar der des Obmanns eines Dreier-Schiedsgerichts, beim dem die anderen Schiedsrichter von den Parteien benannt worden sind.

Selbst im Fall entgeltlicher Tätigkeit spricht daher viel dafür, dass das Amt des Vorsitzenden eines Beschwerdeausschusses von der Bereichsausnahme in § 8 Abs. 3 BNotO erfasst ist.

Notar N kann somit Vorsitzender eines Beschwerdeausschusses nach § 126 Abs. 4 SGB-V sein.

 

Zu Frage 2:

Die Gründe, aus denen ein Notar nicht an einer Beurkundung mitwirken darf bzw. soll, sind abschließend in den §§ 3-7 BeurkG geregelt. Allenfalls problematisch könne sein, ob der Notar nach § 3 Abs. 1 Nr. 6-8 BeurkG von der Mitwirkung an der Beurkundung ausgeschlossen ist.

Ein Fall des § 3 Abs. 1 Nr. 6 BeurkG liegt nicht vor, da der Beschwerdeausschuss kein Vertretungsorgan der Kassenärztlichen Vereinigung bzw. der Krankenkasse ist.

Ein Fall des § 3 Abs. 1 Nr. 8 BeurkG liegt ebenfalls nicht vor, da der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses weder von einer der Urkundsparteien bevollmächtigt wurde noch zu ihr in einem ständigen Dienst- oder Geschäftsverhältnis steht.

N könnte jedoch nach § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG von der Mitwirkung an der Beurkundung ausgeschlossen sein.

N war als Vorsitzender des Beschwerdeausschusses außerhalb seiner Amtstätigkeit bereits für den Beschwerdeführer tätig. Die Bestellung eines Grundpfandrechts für eine Forderung, die Gegenstand des von ihm entschiedenen Beschwerdeverfahrens war, betrifft eine identische „Angelegenheit“. Angelegenheit ist der konkrete Lebenssachverhalt, hier also der Geldanspruch der KV-B gegen A. Der Begriff ist im Lichte des Schutzzwecks des § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG auszulegen. Die Vorschrift schützt das Vertrauen der Urkundsbeteiligten in die Unparteilichkeit des Notars, § 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO.[1]

In casu erwartet A von dem Notar, bei dem er ein Grundpfandrecht bestellt, eine unparteiische Information darüber, dass damit ein hochwertiger Vollstreckungstitel geschaffen wird und A hierzu nur bereit sein sollte, wenn der zu sichernde Anspruch wirklich besteht. Hat N als Mitwirkender eines Spruchkörpers bereits hierüber entschieden, dann hat er sich aufgrund dieser Vorbefassung bereits eine Meinung gebildet und ist nicht mehr unparteiisch.

Auch die Unterausnahme des § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG greift nicht ein. Voraussetzung hierfür wäre, dass N seine Tätigkeit als Vorsitzender des Beschwerdeausschusses „im Auftrag aller“ Verfahrensparteien ausgeübt hätte. Sinn der Unterausnahme ist, das Vertrauen der Parteien in die Unparteilichkeit des Notars nur dann zu schützen, wenn es geschützt werden muss. Wenn alle Parteien derselben Angelegenheit dieses Vertrauen trotz Vorbefassung des Notars immer noch haben, sind sie nicht schutzbedürftig.

Vorliegend fehlt es jedoch an einem „Auftrag“. Im Gegensatz zu einem Schiedsrichter, der aufgrund eines privatrechtlichen Auftragsverhältnisses für die Verfahrensparteien tätig wird[2], wird N hier aufgrund hoheitlicher Bestellung tätig. Die Parteien konnten sich N als Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses nicht privatautonom aussuchen.

 

III.

Für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde bedeutet dies Folgendes:

Im notariellen Berufsrecht wird durch § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG das konkrete Vertrauen der Urkundsparteien in die Unparteilichkeit des konkret tätigen Notars geschützt. Schutzgut ist nicht das abstrakte Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Unparteilichkeit der Institution Notariat.

Demgegenüber verfolgt das anwaltliche Berufsrecht aus unserer Sicht das Ziel, den rückhaltlosen Einsatz des Anwalts für die (wohlverstandenen) Interessen des Mandanten zu gewährleisten. Im Gegensatz dazu hat der Notar die widerstreitenden Interessen der Parteien auszugleichen, so dies möglich ist. Hieraus folgt: Im anwaltlichen Berufsrecht geht es um die Vermeidung von Interessenkonflikten zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten. Im Berufsrecht der Notare geht es um die Vermeidung des „bösen Scheins“, dass sich der Notar auf die Seite eines der Beteiligten geschlagen hat.

Insofern lassen sich die Vorschriften des anwaltlichen und des notariellen Berufsrechts nicht vergleichen.

Druckfassung

Fußnoten:

[1] Aus der Rspr. etwa BGH v. 26.11.2012, NotSt (Brfg) 2/12, AnwBl. 2013, 150 = DNotZ 2013, 310 (Tz. 9-13 mit weit. Nachw.).

[2] Zu Mitwirkungsverboten nach Vorbefassung als Schiedsrichter in Kürze Armbrüster/Greis, Mitwirkungsverbot des als Schiedsrichter vorbefassten Notars bei der Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs, zur Veröffentlichung vorgesehen in DNotZ.

 

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