Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten

Stellungnahme vom 22.11.2012

Der Deutsche Notarverein dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Aus der Sicht eines Berufsstands mit nunmehr sechsjähriger Erfahrung mit dem elektronischen Rechtsverkehr begrüßen wir sowohl dessen Ausdehnung auf andere Rechtspflegebereiche als auch den grundsätzlichen Lösungsansatz des Bundesministeriums der Justiz.

 

I. Allgemeines

Zentraler Erfolgsfaktor für den elektronischen Rechtsverkehr wird dessen Akzeptanz nicht nur bei den Justizangehörigen sein, sondern vor allem bei den Anwaltskolleginnen und –kollegen und darüber hinaus bei der Bevölkerung. Voraussetzung für diese Akzeptanz ist ein Grundvertrauen der Nutzer in die Funktionsfähigkeit und die Systemsicherheit.

Nach sechs Jahren Erfahrung mit dem elektronischen Handelsregister dürfen wir die Aussage wagen, dass wir auf diesem Feld nicht nur in Deutschland, sondern auch international Standards gesetzt haben. Das elektronische Handelsregister kann (und sollte) daher als Blaupause für den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz dienen.

Gründe für diesen Erfolg sind neben dem (i) klaren Systemwechsel (jeder ist ohne Ausnahme zur Nutzung verpflichtet), der (ii) engen Kooperation zwischen Justiz und Notariat bei der Systementwicklung und –pflege, der (iii) nachhaltigen Aus- und Fortbildung der damit befassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der (iv) (zumindest de facto obligatorischen) Strukturdatenerfassung vor allem die (v) Verwirklichung des Grundsatzes „safety first“.

Eckpfeiler dieses Sicherheitskonzepts ist neben der verwendeten Hardware vor allem die qualifizierte elektronische Signatur (qeS). Die These erscheint plausibel, dass dieses Technologiekonzept das deutsche Handelsregister bisher davor bewahrt hat, wie das britische Companies Register zur leichten Beute für Internetkriminelle zu werden.

Wir begrüßen daher insbesondere, dass der RefE die qeS als Sicherheitskonzept beibehält. Der Aufwand, ein Dokument mit einer qeS zu versehen, ist geringer als der Aufwand, einen Schriftsatz zu heften und in einen Briefumschlag zu stecken. Niemand würde auf die Idee kommen, zur Aufwandsminimierung Klageschriften als ungeheftete Loseblattsammlung offen mit der Post zu versenden.

 

II. Strukturdatenerfassung

Über den jetzigen Inhalt des RefE hinaus dürfen wir Folgendes anregen:

Elektronischer Rechtsverkehr führt nur dann zur Gerichtsentlastung, wenn zugleich auch die einer Rechtssache zugehörigen Strukturdaten in unmittelbar verarbeitungsfähiger Form übermittelt werden. Das Erfolgsmodell elektronisches Handelsregister belegt dies. Beim elektronischen Handelsregister reichte ein konsensuales Vorgehen von Justiz und Notariat bei den Strukturdaten aus. Im Rahmen der allgemeinen Verfahrensrechte wird man aber eine allgemeine Strukturdatenerfassung durch die Teilnehmer am elektronischen Rechtsverkehr wohl nur erreichen können, wenn hierfür eine Rechtsgrundlage geschaffen wird. Die Aufnahme einer entsprechenden Verordnungsermächtigung in den Gesetzentwurf ist aus unserer Sicht daher ratsam. Diese Verordnung sollte regeln, welche Daten durch wen in welcher Form zu übermitteln sind. Was die Regelungsgegenstände betrifft, mag das elektronische Handelsregister auch insoweit als Vorbild dienen. Die bereits angesprochene Akzeptanz des Projekts bei den Kolleginnen und Kollegen aus der Anwaltschaft hängt hierbei wesentlich davon ab, dass auch ihnen Strukturdaten zur Verfügung gestellt werden.

 

III. Übermittlungswege

Wir regen an, die im Entwurf enthaltene Privilegierung von DE-Mail als sicherer Übermittlungsweg zu streichen. Das betrifft insbesondere Art. 1 Nr. 3 a) des Entwurfs (§ 130a ZPO-E). Diese Privilegierung ist weder veranlasst noch gerechtfertigt.

Wenn DE-Mail tatsächlich ein sicherer Übermittlungsweg sein sollte, bedürfte es keiner gesetzlichen Sonderregelung. Denn dann ließe sich DE-Mail ohne weiteres nach § 130a Abs. 4 Nr. 3 ZPO-E als Übermittlungsweg festlegen, § 130a Abs. 4 Nr. 1 ZPO-E wäre redundant. Die Sonderregelung in § 130a Abs. 4 Nr. 1 ZPO-E zeigt, dass DE-Mail kein solcher Weg ist. Denn sonst bedürfte es keiner gesetzlichen Fiktion der Übermittlungssicherheit. Vertrauen des Rechtsverkehrs lässt sich aber mit gesetzlichen Fiktionen nicht gewinnen.

DE-Mail ist eben kein sicherer Übermittlungsweg, da es weder eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorsieht noch Gewähr dafür bietet, dass derjenige, der eine DE-Mail absendet bzw. empfängt, tatsächlich der berechtigte Inhaber des DE-Mail-Kontos ist.

Die Privilegierung von DE-Mail im Verfahrensrecht stellt vielmehr einen Fall gesetzlich geregelter Monopolbildung dar, vergleichbar etwa dem früheren Zündwarenmonopol. Hier wie dort führt es zu Monopolrenditen, wie die Preisgestaltung der ersten DE-Mail-Anbieter deutlich zeigt.[1] Europarechtlich dürfte in der gesetzlichen Privilegierung eine verbotene staatliche Beihilfe im Sinne der Art. 107-109 AEUV liegen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Ausnahmetatbestände der Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV erfüllt sind.

Darüber hinaus führt die Privilegierung von DE-Mail zu sowohl rechtssystematischen Verwerfungen im RefE als auch zu praktischen Problemen bei seiner Umsetzung. Diese lassen sich wie folgt auflisten:

  1. DE-Mail wahrt das anwaltliche und notarielle Berufsgeheimnis nicht (§§ 43a Abs. 2 BRAO, 18 BNotO), da bei DE-Mail keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorgesehen ist.
  2. § 130a Abs. 3 ZPO-E ist insofern systemwidrig, als er zwei Alternativen anbietet, die verschiedene Regelungsziele haben. Die in Alternative 1 vorgesehene qeS dient dem Dokumentenschutz. Die Regelung in Alternative 2 dient der sicheren Übermittlung eines geschützten oder nicht geschützten Dokuments. Man braucht aber nicht entweder das eine oder das andere, sondern beides.
  3. Was ist die einfache Signatur im Sinne von § 130a Abs. 3 Alt. 2 ZPO-E im Unterschied zur qeS? Das bleibt im Gesetzestext letztlich offen. Reicht der getippte Name unter einer E-Mail oder ein Briefkopf? Ist eine eingescannte Unterschrift gemeint? In jedem Fall erfüllt das nur einfach signierte elektronische Dokument keinerlei Sicherheitsanforderungen, sein Beweiswert ist gering. Die vom DE-Mail-Account eines schon verstorbenen Rechtsanwalts (das Versterben des Kontoinhabers wird bei DE-Mail nicht geprüft) mit dessen aus einem anderen Dokument herauskopierter Unterschrift versehene Schutzschrift wird ohne weiteres in das ansonsten sehr zu begrüßende Schutzschriftenregister nach § 945a ZPO-E eingestellt und kann ihren „Lästigkeitswert“ ungebremst entfalten. Das bloße „Signieren“ eines Dokuments schützt z. B. noch nicht einmal vor dem Austausch des vor der Signatur geschriebenen Textes.[2]
  4. Hans Müller reicht über das DE-Mail-Konto der Müller GmbH einen Schriftsatz ein. Ist dieser der GmbH zurechenbar? Wer prüft nach, ob Hans Müller für die Müller GmbH vertretungsbefugt ist – ob wir es also mit einer wirksamen Prozesshandlung zu tun haben? Allenfalls bei der Eröffnung eines DE-Mail-Kontos wird die Vertretungsmacht geprüft. Ob ein GmbH-Geschäftsführer zwischenzeitlich aber abberufen wurde, interessiert nicht mehr.
  5. Wie ist der Begriff „elektronisches Dokument“ in § 182 Abs. 3 ZPO-E zu verstehen? Ist der Begriff deckungsgleich mit § 130a ZPO-E? Oder unterliegt die Zustellungsurkunde (was sinnvoll wäre), den Anforderungen des § 371b ZPO-E? Gerade wegen der Bedeutung einer wirksamen Zustellung für die Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips sollte eine elektronische Zustellungsurkunde stets mit einer qeS versehen sein. In § 182 Abs. 3 ZPO-E wäre dies klarzustellen.
  6. Derzeit haben die Gerichte für den elektronischen Rechtsverkehr nur den Zugang über das EGVP, nicht über DE-Mail. Die Nutzung von DE-Mail durch die Justiz wird wegen der oben erwähnten Monopolrenditen der DE-Mail-Anbieter die Justizhaushalte der Länder erheblich belasten. Schon der verantwortungsvolle Umgang mit Steuergeldern gebietet es daher, DE-Mail nicht aktiv einzusetzen. Kosten für das Programmieren von Schnittstellen kämen ohnedies noch dazu, samt Folgekosten bei den jeweiligen Updates. Wie meist in der IT sind Schnittstellenübergänge nur in der Theorie unproblematisch, nicht aber in der Praxis. So ist EGVP derzeit etwa auf Rechnern nicht nutzbar, auf denen Daten an Steuerbehörden mittels ELSTER übermittelt werden. Nicht nur, aber besonders bei Schnittstellenprogrammen besteht immer die Gefahr eines systemischen Versagens in nicht prognostizierbaren Fällen. Zu denken geben sollte hier etwa das nicht veröffentlichte Urteil des FG Düsseldorf vom 17.5.2011 – 6 K 3100/09. Nur besonnene Finanzrichter haben hier einen Staatshaftungsfall verhindert.[3]

 

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Fußnoten:

[1] Siehe etwa die derzeitigen Angebote der Deutschen Telekom AG oder des Betreibers von gmx. So kostet z. B. bei der Telekom eine DE-Mail für private Nutzer € 0,39, für Geschäftskunden € 0,33. Dazu kommen die Kosten für eine Absenderbestätigung (€ 0,12) und für die Versandbestätigung (€ 0,39). Bezeichnenderweise wird auf der Seite von gmx De-Mail als „Eine Initiative der Bundesregierung mit gmx und Partnern“ angepriesen.
[2] Bei der qeS wird dies durch die Verschlüsselung ausgeschlossen. Eine nachträgliche Manipulation des Dokuments ändert dessen Hash-Wert und führt damit zu einem negativen Ergebnis bei der Signaturprüfung.
[3] Hierzu Taetzner/Protz, BB 2012, 2795: Am 10.12.2007 reichte ein Notar die Anmeldung eines Ergebnisabführungsvertrags samt Zustimmungsbeschlüssen zum Handelsregister ein. Der Eingang wurde ihm ordnungsgemäß quittiert. Das Notariat wies das Handelsregister zweimal auf die Notwendigkeit einer Eintragung während des laufenden Geschäftsjahres hin (§ 14 Abs. 1 Satz 2 KStG). Wegen einer technischen Störung bei der Weiterleitung der Daten vom Justizintermediärserver an das Handelsregister waren die Daten jedoch in einen „Fehlerordner“ verschoben worden und erreichten mithin das zuständige Registergericht nicht. Die Eintragung erfolgte somit erst am 7.1.2008. Das Finanzamt ging daher bei der Steuerveranlagung für den VZ 2007 davon aus, dass der Ergebnisabführungsvertrag im Kalenderjahr 2007 nicht wirksam geworden war. Das führte zu einer erheblichen Steuermehrbelastung der Anmelderin. Erst das Finanzgericht sah in der Fehlfunktion der IT der Justiz einen sachlichen Billigkeitsgrund im Sinne des § 163 AO. Andernfalls wäre nach Art. 34 GG, § 839 BGB wohl der Staat (z. B. das für das Registergericht zuständige Bundesland als Mitbetreiber des Gesamtsystems, § 840 Abs. 1 BGB) für den Steuerschaden in Anspruch genommen worden.

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