Gesetz zur Erleichterung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichem Engagement und zum Bürokratieabbau bei Genossenschaften

Stellungnahme vom 29.12.2016

Über die Bundesnotarkammer erfuhr der Deutsche Notarverein vor wenigen Tagen von dem im Betreff genannten Gesetzentwurf und von der an die „beteiligten Kreise mit Bezug zum Genossenschafts- und Vereinsrecht“ gerichteten Bitte Ihres Hauses um Stellungnahme. Obschon nicht Adressat des Verbändeanschreibens erlauben wir uns zu diesem für unseren Verband relevanten Thema Stellung zu nehmen:

 

Das Anliegen des Entwurfs, den zur Verfügung stehenden Rechtsrahmen sowohl für gemeinnütziges als auch für kleingewerbliches Engagement der Zivilgesellschaft zu stärken, begrüßen wir. Jedoch muss die Verbraucherschutzrelevanz solcher Vorhaben stets mitbedacht werden (nachfolgend 1.). Zudem scheint uns eine stärkere Normierung des Konzessionssystems nicht geeignet, die Ziele des Gesetzgebers zu erreichen (nachfolgend 2.). Drittens erscheinen die Gestaltungsmöglichkeiten unserer Rechtsordnung ausreichend (nachfolgend 3.) Im Ergebnis empfehlen wir zum einen den Vortrag des Vorhabens auf die neue Legislaturperiode unter Einbeziehung überfälliger Regelungen zum sog. Crowdfunding, zum anderen die Einführung einer „kleinen Genossenschaft“ nach dem Vorbild des § 210 VAG, der insbesondere Alternativen zur Abschlussprüfung eröffnet werden sollen.

 

1. Bürgerschafltiches Engagement und Verbraucherschutz

Der Entwurf trägt den Belangen des Verbraucherschutzes bisher nicht ausreichend Rechnung. Auch und gerade kleingewerbliche Strukturen sind anfällig für Modelle auf dem grauen Kapitalmarkt. Mit Strukturvertrieben können Beteiligungen gleich welcher Art auch an Dorfläden, Mini-/Solar-/Windkraftwerken und ähnlichen Einrichtungen vertrieben werden. Statt großer Strukturen wie z. B. der Prokon-Gruppe ist auch die Aufspaltung einheitlicher Vertriebsaktivitäten auf zahllose kleine Einheiten denkbar. Solche Modelle sind stets Kapitalanlagen, auch wenn sie unter dem Etikett des bürgerschaftlichen Engagements figurieren. Als solche unterliegen sie unter Umständen nationalen und europarechtlichen Schutzvorschriften.

Nunmehr soll mit dem „wirtschaftlichen Verein“ für solche Modelle eine neue Struktur vorgegeben werden. Schon die bisherigen wirtschaftlichen Vereine (z. B. etwa die urheberrechtlichen Verwertungsgemeinschaften) zeichnen sich durch vieles aus, nur nicht durch zeitgemäße Corporate Governance, Transparenz und Publizität von Entscheidungsprozessen und Rechnungslegung. Auch die Verordnungsermächtigung im neuen § 22 Abs. 2 E-BGB erfasst nur die Rechnungslegung, nicht deren Publizität. Wer die Pflicht zur Einreichung von Jahresabschlüssen zum Unternehmensregister als „unzumutbar“ empfindet, dem stellt § 22 E-BGB einen diskreten Weg zur Verfügung, seine gewerbliche Tätigkeit intransparenter zu gestalten. Für den grauen Kapitalmarkt noch geeigneter wäre die Kombination eines wirtschaftlichen Vereins, dessen Mitglieder der „innere Kreis“ der Initiatoren stellt, mit eingeworbenen stillen Beteiligungen der gutgläubigen Anleger. Die Genossenschaft mit Mitgliederdarlehen nach dem Entwurf ist ebenfalls eine hochattraktive „Einladung“ an betrügerische „Kapitalmarktmodelleure“. Die Informationspflicht nach § 21b E-GenG bleibt weit hinter den Pflichten von Prospekterstellern bei Kapitalanlagen oder gar den Pflichten von Banken beim Verbraucherkredit zurück.[1] Das schafft ein nicht begründbares Regulierungsgefälle in unserer Rechtsordnung.

Es handelt sich zudem beim Einwerben von Eigenkapital um nichts anderes als um sog. Crowdfunding. Diese Methode hatte sicher bei Abschluss des Koalitionsvertrages, zu dessen Umsetzung das Vorhaben dient, noch nicht die praktische Relevanz, die es heute hat. Erst recht war die Eignung dieser Strukturen für betrügerische Modelle noch nicht erkannt.
Crowdfunding birgt die Gefahr, dass ähnlich wie beim Spendenbetrug der gute Wille der “Anleger“ in besonders infamer Weise ausgenutzt wird. Die vom Gesetzentwurf verfolgten Zwecke schaffen eine ähnliche Problemlage. Rechtstatsächlich sind bürgerschaftliches Engagement und Crowdfunding vergleichbar. Gerade die Kleinräumigkeit und der Engagementgedanke sind (leider) hervorragende Marketinginstrumente.

Wir raten daher an, wegen der kapitalmarktrechtlichen Relevanz jedenfalls auch das Bundesministerium der Finanzen und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Rahmen der Ressortabstimmung und der Anhörung Dritter einzubinden. Im Ergebnis sollten Erscheinungen und Missbräuche des Crowdfunding im Rahmen solcher Vorhaben stets mitbedacht werden.

 

2. Konzessionssystem vs. System der Normativbestimmung

Seit der Reform des HGB im Jahr 1870 führt das Konzessionssystem in unserem Recht ein Schattendasein und das zu Recht. Es ist beschränkt auf den wirtschaftlichen Verein nach § 22 HGB, den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit nach §§ 171 ff. VAG und die bürgerlich-rechtliche Stiftung nach § 80 BGB. Das ist auch gut so, denn das System der Normativbestimmungen ist für die Gründung juristischer Personen in der Regel erheblich effizienter. Das Konzessionssystem führt jedenfalls im Stiftungsrecht zu Bevormundung der Antragsteller bei der Gestaltung der Stiftungssatzungen und zu einer erheblich längeren Verfahrensdauer. Der Unterzeichner empfiehlt inzwischen die Errichtung gemeinnütziger Stiftungen im Bezirk „seiner“ Stiftungsaufsicht oft nicht mehr.

 

Beispiel 1 aus der Praxis des Unterzeichners:

Um einerseits den Vorstand einer Stiftung auch bei Ausfall des Vorstands handlungsfähig zu halten, andererseits bei der Suche nach Nachfolgern nicht unter Zeitdruck zu geraten, soll in deren Satzung vorgesehen werden, dass der Vorstand aus bis zu drei Personen besteht und aus mindestens zwei Personen bestehen soll. Zudem soll das Kuratorium interimsweise eines seiner Mitglieder in den Vorstand delegieren können. Vorbild hierfür sind die §§ 76 Abs. 2 Satz 2, 105 Abs. 2 Satz 1 AktG. Die Aufsichtsbehörde lehnt dies mit der Begründung ab, es ließen sich genügend Vorstandsmitglieder finden.

 

Das Konzessionssystem steht daher bürgerschaftlichem Engagement im Einzelfall entgegen. Auch eine Annäherung des Konzessionssystems an das System der Normativbestimmungen durch eine Rechtsverordnung, die einen Kriterienkatalog vorgibt, wird daran nichts ändern. Ein gutes Beispiel dafür, wie Verwaltungsbehörden mit solchen Kriterien umgehen, ist der gelegentliche „Kleinkrieg um Geschmacksfragen“ in Baugenehmigungsverfahren. Auch hier geht es nicht um subjektiv-öffentliche Rechte auf einen gebundenen begünstigenden Verwaltungsakt, sondern darum, dass derjenige der am „längeren Hebel sitzt“, seine Position ausnutzt.

 

Beispiel 2 aus der Praxis des Unterzeichners:

Geplant ist ein Geschosswohnungsbau mit Blick auf die Spree (über einen Spazierweg am Ufer hinweg). Die Erdgeschosswohnungen sollen daher raumhohe Wohnzimmerfenster erhalten. Die Bauaufsichtsbehörde lehnt dies mit der Begründung ab, Spaziergänger könnten sich durch den Blick auf unaufgeräumte Wohnzimmer gestört fühlen.

Solches kennt man aus der Registergerichtsbarkeit nicht. Dies dürfte auf die unterschiedliche Gruppendynamik in Gerichten und Verwaltungsbehörden und die unterschiedliche Sozialisation der Angehörigen von Justiz und Verwaltung zurückzuführen sein.

Hinzu kommen die bekannten Nachteile des wirtschaftlichen Vereins, dessen Schwächen insbesondere in der fehlenden Registrierung und den damit einhergehenden Nachweisproblemen bei Existenz und Vertretung liegen.

 

3. Alternativen

Lässt man die Verbraucherrelevanz einmal beiseite, so stellt unsere Rechtsordnung hinreichend Möglichkeiten zur Verfügung, um Vorhaben wie Elterninitiativen oder Dorfläden eine geeignete Struktur zu geben.

Für nicht gewerbliche Vorhaben steht der Idealverein nach § 21 BGB bereit. Zwar mag die Rechtsprechung des Kammergerichts zum Verein als Träger mehrerer Kindertagesstätten zu Irritationen führen. Allerdings sollte man erst einmal den Bundesgerichtshof entscheiden lassen.[2]

Seit 2008 steht zudem die haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft zur Verfügung. Sie kann z. B. vom kleinen Kreis der Initiatoren gegründet werden. Zusätzliches Eigenkapital lässt sich entweder über eine Kommanditgesellschaft anwerben, als deren Komplementär (mit Kapitalanteil) die UG fungiert (UG & Co. KG), oder über eine UG mit typisch oder atypisch still beteiligten Bürgern. Die Organisation der KG kann durch einen Treuhandkommanditisten sehr vereinfacht werden.

Allerdings sind die unter 1. aufgezeigten Aspekte auch hier zu beachten. Das liegt in der Natur der Sache, denn auch bürgerschaftliches Engagement kann missbraucht werden und gerade hier müssen die Bürger vor Betrügern geschützt werden (vgl. oben 1.).

Traditionelle Rechtsformen haben den Vorteil, dass man auf bewährte Modelle für Corporate Governance, Rechnungslegung, Register- und Abschlusspublizität zurückgreifen kann. Damit ist auch die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sichergestellt. Zudem reichen die Regelungsmodelle auch dann, wenn bürgerschaftliches unternehmerisches Engagement in die Größenordnung echter Unternehmen hineinwächst (Paradefall in der deutschen Wirtschaftsgeschichte: „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halle’schen Torbezirk zu Berlin – E.d.K.“). Vor dieser Möglichkeit verschließt der Entwurf ohnedies bislang die Augen.

Der Verfasser hat im Rahmen seiner Amtstätigkeit selbst einmal einen „Dorfladen“ gegründet und hierzu die Rechtsform der eG gewählt (die UG gab es damals noch nicht). Hauptproblem dieser Rechtsform sind deren Vorschriften über die Abschlussprüfung, die für kleine Genossenschaften überreguliert sind. Bei Umwandlungen von Genossenschaften in GmbH gaben die Beteiligten jedenfalls in der Praxis des Unterzeichners das genossenschaftliche Prüfungswesen als Hauptmotiv für die Umwandlung an. Der Dorfladen befindet sich inzwischen in Abwicklung, die sich eben wegen dieses Prüfungswesens seit Jahren hinzieht.

Es erscheint daher zweckmäßig, nach dem Vorbild des § 264 HGB auch für kleinere Genossenschaften Erleichterungen vorzusehen und insbesondere auch Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer zur Prüfung kleinerer Genossenschaften zuzulassen. Selbst das (zu Recht) hochregulierte Versicherungsaufsichtsrecht geht mit § 210 VAG diesen Weg.

 

4. Empfehlungen

Aus den genannten Gründen empfehlen wir Folgendes:

a) Überprüfung des Entwurfs auf Verbraucherschutzaspekte und Vereinbarkeit mit dem Kapitalanlagerecht und daher Beteiligung der Verbraucherschutzreferate im eigenen Haus, des BMF und der BaFin.

b) Schaffung einer „kleinen Genossenschaft“ mit Erleichterungen bei der Abschlussprüfung.

c) Regelung des bürgerschaftlichen Engagements nur im Zusammenhang mit allgemeinen Regelungen des Crowdfunding im Kapitalanlagenrecht.

Im Übrigen verweisen wir auf die Ausführungen insbesondere der Landesnotarkammer Bayern in ihrer Stellungnahme an das Bayerische Staatsministerium der Justiz vom 16.12.2016, denen wir uns vollumfänglich anschließen.

Druckfassung

Fußnoten:

[1]      Zum Schutzniveau im Kapitalanlagerecht vgl. etwa den jüngst veröffentlichten Entwurf eines Kapitalanlagerundschreibens der BaFin, Konsultation 16/2016, Kapitalanlagerundschreiben, Gz. VA 25-I 3201-2016/0002, Internet: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Konsultation/2016/kon_1616_kapitalanlagerundschreiben_va.html).

[2]      KG, Beschl. v. 16.2.2016 – 22W88/14, NZG 2016, 989 und Beschl. v.11.4.2016, 22W 40/15, NZG 2016, 993 (nur LS); dazu auch Wagner, NZG 2016, 1046, 1047 sowie Vossius, notar 2016, 414, 426.

Siehe hierzu auch die am 28.04.2017 veröffentlichte Stellungnahme zum Entwurf einer Verordnung über die Verleihung der Rechtsfähigkeit an wirtschaftliche Vereine nach § 22 BGB

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