Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen

Stellungnahme vom 14.10.2010

 

Der Deutsche Notarverein dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme. Wir begrüßen das zentrale Anliegen des Diskussionsentwurfs, der Sanierung und Fortführung überlebensfähiger Unternehmen eine bessere Chance zu geben. Zu einzelnen Bestimmungen hinsichtlich der Änderung der Insolvenzordnung (Art. 1 des Diskussionsentwurfes) dürfen wir uns wie folgt äußern:

 

1.      zu Nr. 1: Ermächtigung der Landesregierungen zur Bestimmung eines abweichenden Amtsgerichts als Insolvenzgericht und zur Erstreckung der Zuständigkeit eines Insolvenzgerichts

 

Mit der Änderung des § 2 Absatz 2 Satz 2 E-InsO beschreitet der Gesetzgeber einen Weg, der den Notaren aufgrund ihrer täglichen Arbeit mit den Handelsregistern bereits bekannt ist und der sich in der Praxis bewährt hat. Die Bildung großer Handelsregister ermöglicht den dort tätigen Rechtspflegern und Richtern Spezialisierung und fachlichen Austausch. Sowohl die Qualität des Registervollzugs als auch seine Schnelligkeit konnte dadurch in den letzten Jahren erheblich gesteigert werden. Wir können diesen Ansatz des Entwurfs daher nur empfehlen und dürfen anregen, mit Nachdruck bei den Ländern auf die Bildung von Schwerpunkt-Insolvenzgerichten hinzuwirken.

 

Darüber hinaus erscheint es zweckmäßig, ein einheitliches Insolvenzgericht für Konzerninsolvenzen festzulegen, gegebenenfalls im Wege einer obergerichtlichen Zuständigkeitsbestimmung. Standort einer solchen Regelung könnte etwa § 3 Abs. 2 InsO sein.

 

 

2.      zu Nr. 5: Bestellung der Insolvenzverwalter auf Vorschlag der Gläubiger

 

Die Bestellung von Insolvenzverwaltern in Deutschland ist seit Jahrzehnten Gegenstand intensiver Fachdiskussion. Mit Blick darauf, dass sich die Ergebnisse deutscher Insolvenzverfahren für Gläubiger und Arbeitnehmer  – auch im internationalen Vergleich – sehen lassen können, warnen wir davor, nun das „Kind mit dem Bade auszuschütten“. Vor diesem Hintergrund erscheint die vorgeschlagene Änderung des § 56 E-InsO hinsichtlich des Vorschlagrechts der Gläubiger bedenklich. Dies gilt insbesondere wegen der denkbaren Interessenkonflikte und der hiermit verbundenen Schaffung bzw. Vertiefung von problematischen Abhängigkeitsverhältnissen:

 

 

Beispiel 1:

 

Eine internationale Großkanzlei berät seit Jahren ständig eine deutsche Großbank. Mit Blick auf den neu gefassten § 56 InsO baut sie nunmehr – nach entsprechender gesellschaftsrechtlicher Trennung zwischen anwaltlicher und insolvenzrechtlicher Tätigkeit – eine eigene Spezialeinheit „Insolvenzverwaltung“ auf. Als eine (Groß-) Kundin der vorgenannten Großbank in Insolvenz fällt, schlägt letztere einen Rechtsanwalt besagter Spezialeinheit als Insolvenzverwalter vor. Das Insolvenzgericht kommt dem Wunsch nach.

 

Variante a):

 

Der Insolvenzverwalter leitet einen Verkaufsprozess des insolventen Unternehmens ein und betraut damit die Investmentabteilung der vorgenannten Großbank, welche sich bei der Transaktion wiederum von besagter Großkanzlei beraten lässt.

 

Variante b):

 

Ein anderer Großkunde dieser Großbank will das insolvente Unternehmen erwerben und dieses zur Verbesserung seiner eigenen Absatzchancen stilllegen.

 

Variante c):

Der Insolvenzverwalter bemerkt, dass eine nennenswerte Forderung der Großbank der Insolvenzanfechtung unterliegen könnte. Er schätzt die Erfolgsaussichten der Anfechtung realistischerweise mit 50:50 ein. Wie wird er sich entscheiden?

 

Bei Variante b) liegt die Parallele zum Konkurs des deutschen Automobilherstellers Borgward in den 50er Jahren auf der Hand. Für den damaligen Mitbewerber Daimler-Benz wäre es jetzt noch leichter als damals, mittels seiner „Hausbank“ den Konkurrenten auszuschalten.

 

Überdies spräche für eine Beibehaltung der derzeitigen Praxis die hierdurch auch weiterhin gewährleistete volle richterliche Unabhängigkeit und Neutralität. Diese Aspekte sollten auch angesichts der besonderen Sensibilität und Öffentlichkeitswirkung von (größeren) Insolvenzverfahren nicht unterschätzt werden.

 

Objektive oder auch nur subjektive Unzuträglichkeiten bei der Insolvenzverwalterbestellung dürften wahrscheinlich zukünftig auch durch die bereits besprochene Konzentration der Insolvenzgerichte abnehmen. Höhere Fallzahlen führen automatisch zu gefestigter Spruchpraxis und damit zu mehr Transparenz und Rechtssicherheit.

 

Zudem geben wir zu bedenken, dass das nunmehr vorgeschlagene Verfahren in erster Linie auf die spektakulären Großverfahren oder doch zumindest solche Insolvenzen zugeschnitten ist, die bereits derzeit nach dem „Detmolder Modell“ abgewickelt werden können. Für das Gros der „kleineren“ Insolvenzen schadet es demgegenüber mehr, als es nützt. Die Herausnahme (nur) der Verbraucherinsolvenzverfahren und der sonstigen Kleinverfahren führt dazu, dass durch § 56 Abs. 2 und 3 E-InsO bei jeder Insolvenz einer 08/15-GmbH mit mehr als 20 Gläubigern ein zusätzliches zeit- und ressourcenaufwendiges Prozedere ohne erkennbaren Mehrwert für Schuldner, Gläubiger oder Arbeitnehmer geschaffen wird, das überdies noch schwierige und streitanfällige Folgefragen aufwirft (benötigt eine solche in Insolvenz geratene Gesellschaft einen „vorläufigen Gläubigerausschuss“? Müssen hier vor Bestellung des Insolvenzverwalters alle „wesentlichen Gläubiger“ ermittelt (und angeschrieben) werden (von wem?)?.

 

Weiterhin können wir dem Gesetz nicht explizit entnehmen, ob gegen die Ablehnung eines Vorschlags ein Rechtsmittel gegeben ist (wohl: sofortige Beschwerde). Dies sollte jedenfalls in der Begründung klargestellt werden.

 

Für § 270 InsO in der Fassung des Entwurfs gilt Entsprechendes.

 

 

3.      zu Nrn. 12, 14 und 32: Einfügung des § 225a InsO, Änderung der § 230 und 253 InsO

 

In Gläubigerversammlungen lassen sich mittlerweile Phänomene beobachten, die den Notaren bereits seit längerer Zeit aus großen Hauptversammlungen bekannt sind. Ein neuer Beruf ist im Entstehen, der des „Berufsgläubigers“. Dieser löst Forderungen von Kleingläubigern Zug um Zug gegen Abtretung der Insolvenzforderung nach § 267 BGB ab. Dadurch verschafft er sich Zutritt zur Gläubigerversammlung und vermarktet dort seinen „Lästigkeitswert“. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Gläubigerversammlung der Schrannenhalle in München vor einigen Monaten, deren Dauer der einer Hauptversammlung mit Berufsopponenten nicht nachstand.

 

Unsere Prognose geht dahin, dass im Insolvenzplanverfahren vor allem die Bewertung von Sachleistungen eine Rolle spielen wird, da sich hier einerseits für Großgläubiger erhebliche Manipulationsmöglichkeiten zu Lasten von Kleingesellschaftern eröffnen (siehe oben Beispiel 1 Variante b)), andererseits Berufsopponenten die Bestätigung des Insolvenzplans mit wenig Aufwand und geringem eigenen Risiko erheblich verzögern können.

 

Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 E-InsO ist z. B. nur die Glaubhaftmachung erforderlich, bei der Bewertung eines Unternehmens sei ein falscher Vergleichszinssatz für risikofreie Anlagen angesetzt worden oder die Peer-Group zur Ermittlung des Beta-Faktors willkürlich zusammengestellt worden. Das ist eine leichte Übung. Für die Beurteilung der Werthaltigkeit einer Darlehensforderung gilt nichts anderes, beruht sie doch auf einer notwendigerweise subjektiven Abschätzung des künftigen Cash-flow des Schuldners auf der Basis von Planzahlen, Prognosen und Annahmen. Prognosen sind nun einmal unsicher, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.

 

Inwieweit die Vorkehrungen des Entwurfs bereits ausreichen, um Entwicklungen wie im Aktienrecht zu begegnen, kann aus heutiger Sicht wohl noch niemand beurteilen. Dies hängt u. a. davon ab, wie die Beschwerdegerichte die Erheblichkeitsschwelle in § 253 Abs. 2 Nr. 2 E-InsO handhaben werden. Das durch den Zeitdruck auf Seiten des Insolvenzverwalters einerseits und das geringe Risiko des Berufsgläubigers andererseits entstehende Risiko ist jedoch der Problemlage durchaus ähnlich, wie sie etwa bei einer Publikumsgesellschaft besteht, die eine Kapital- oder Umstrukturierungsmaßnahme durchsetzen will.

 

Wir dürfen anregen, bei der Entwicklung von Vorkehrungen und Schutzmaßnahmen sowohl im Insolvenz- als auch im Gesellschaftsrecht möglichst einheitliche Wege zu gehen. Denkbar wäre eine Analogie zum Freigabeverfahren nach § 246a AktG, so dass den Gläubigern allenfalls die Möglichkeit bliebe, mittels einstweiligen Rechtsschutzes (und dann mit den Folgen des § 945 ZPO) gegen einen Insolvenzplan vorzugehen. Damit wäre zumindest eine prozessuale Waffengleichheit hergestellt.[1] Nicht gangbar erscheint wegen der Besonderheiten der Insolvenz (leider) ein Rückgriff auf das Spruchverfahrensgesetz. Denn im Gegensatz zu einer Kapitalgesellschaft, die ein solches Verfahren über Jahre führen kann, hat der Insolvenzverwalter diese Zeit nicht, da er das Insolvenzverfahren zügig beenden soll. Er macht sich damit erpressbar.

 

Bisher scheint der Lösungsansatz darin zu liegen, dem Insolvenzrichter die Befugnis zu geben, unter dem blauen Himmel zu judizieren. Das ist zum einen eine enorme Verantwortung, zum anderen provoziert dies Ausweichstrategien, etwa über Anhörungsrügen, Befangenheitsanträge und dergleichen. Die unbestimmten Rechtsbegriffe in § 253 Abs. 2 Nr. 2 E-InsO laden zum Streiten geradezu ein. Die in § 253 Abs. 2 Nr. 1 E-InsO eingeführte „Widerspruchspflicht“ dürfte ebenfalls zu keiner Abhilfe führen, da damit zu rechnen ist, dass die problematischen Gläubiger im Rahmen des Abstimmungstermins entsprechende „Vorratswidersprüche“ einreichen werden.

 

 

4.      Zu Nr. 17, 20, 23, 26: Unvereinbarkeit mit RL 77/91/EWG i.d.F. der RL 2009/109/EG („Zweite Richtlinie“) sowie mit RL 2007/36/EG („Aktionärsrechterichtlinie“)

 

Auch soweit Aktiengesellschaften von der Insolvenz betroffen sind, hält die Begründung des Entwurfs diesen mit Europarecht für vereinbar, da EU-Recht weder Zwangsvollstreckungs- noch Abwicklungsmaßnahmen entgegenstünde. Damit setzt sich der Entwurf in Widerspruch zur Auslegung der genannten Richtlinien durch den EuGH[2]. Der Insolvenzplan will die Abwicklung gerade vermeiden, das Absehen von einem Beschluss der Hauptversammlung kann also nicht mit Blick auf eine gewollte Abwicklung begründet werden.

 

Problematisch erscheint hier zum einen das Absehen von der Einhaltung der Einberufungsvorschriften für eine Hauptversammlung in §§ 235 Abs. 3 und 241 Satz 2 E-InsO. Die Zweite Richtlinie schreibt für Kapitalmaßnahmen eine Hauptversammlung vor. Für diese gilt die Aktionärsrechterichtlinie. Der durch die Aktionärsrechterichtlinie 2007/36/EG vom 11.07.2007, ABl. L 184 vom 14.07.2007, S. 17 gewährte Mindeststandard für die Einberufung von Hauptversammlung ist hier außer Kraft gesetzt[3]. § 246a E-InsO verstößt gegen Artt. 25, 30 der Richtlinie 77/91/EWG vom 13.12.1976, ABl. L 26 vom 31.01.1977, S. 1: keine Stimme ist keine Ja-Stimme und damit auch keine Mehrheit. § 244 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 E-InsO verstößt im Fall einer Kapitalerhöhung gegen Bezugsrechtsausschluss oder einer Kapitalherabsetzung gegen Art. 40 der Richtlinie 77/91/EWG (mind. Zwei-Drittel-Mehrheit der Aktionäre bzw. einfache Mehrheit mit Quorum). Im Fall eines Kapitalschnitts ist zudem Art. 38 der Richtlinie 77/91/EWG nicht beachtet.

 

Wir schlagen daher vor, die Vereinbarkeit mit Europarecht dadurch herzustellen, dass

 

a)      die Aktionäre/Kommanditaktionäre in einer nach Aktienrecht einberufenen Hauptversammlung über die Zustimmung zum Insolvenzplan entscheiden und

 

b)      in dieser Hauptversammlung die nach Aktiengesetz vorgesehenen Mehrheiten für nach dem Insolvenzplan vorgesehene Kapitalmaßnahmen gelten, wobei satzungsmäßige Erschwernisse außer Kraft bleiben können.

 

Artt. 25, 30 der Richtlinie 77/91/EWG setzen zudem eine „Hauptversammlung“ voraus. Fraglich ist, ob, wie nach §§ 237 ff. InsO vorgesehen, ein Sonderbeschluss der Aktionäre ausreicht. Der Wortlaut der Richtlinie legt eine gesonderte Versammlung der Anteilsinhaber einer insolventen AG/KGaA nahe, die allerdings im Anschluss an die den allgemeine Versammlung der Beteiligten abgehalten werden kann.

 

5.      zu Nr. 18: Einfügung des § 238a E-InsO: Stimmrecht der Anteilsinhaber

 

Die Bestimmung ist unklar, da sie die verschiedenen Ausgestaltungen der Beteiligung an Personen- und Kapitalgesellschaften sowie Genossenschaften nicht ausreichend berücksichtigt.

 

Die Satzung einer GmbH weist – da eine Regelung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG üblicherweise anlässlich der ersten Satzungsänderung entfernt wird –  nur das Stammkapital aus. Zur Beteiligung der Gesellschafter sagt die Satzung in aller Regel nichts bzw. enthält eine überholte Bestimmung.

 

Gleiches gilt für die Satzung einer AG, die sonst nur Bestimmungen zur Aktienart und -zahl enthält, § 23 Abs. 3 Nr. 3 und 4 AktG. Das Grundkapital kann sich außerhalb der Satzung durch Ausübung von Umtausch- oder Bezugsrechten auf neue Aktien erhöhen, § 200 AktG. Satzungsbestimmungen über die Beteiligung an der AG sind insbesondere auch bei Vorzugsaktien mit Liquidationspräferenz denkbar. Hier lässt die Formulierung offen, ob diesen dann im Insolvenzfall ein höheres Stimmengewicht zukommt (was auch bei anderen Gesellschaftsformen denkbar ist und nicht der Fall sein sollte). Unklar ist auch die Gewichtung teil­eingezahlter Namensaktien, § 36a Abs. 1 AktG.

 

In der Personengesellschaft lässt die Formulierung den Gesellschaftern völlige Gestaltungsfreiheit. In Verbindung mit der Formfreiheit von Personengesellschaftsverträgen eröffnet dies weitreichende Manipulationsmöglichkeiten (rückdatierte Verträge etc.).

 

Auch beim (wirtschaftlichen) Verein ist eine Beteiligung der Vereinsmitglieder denkbar. Wie § 276 Abs. 2 UmwG zeigt, ergibt sich deren Höhe nicht ohne weiteres, sondern bedarf einer genauen (und streitanfälligen) Analyse.

 

Bei der Genossenschaft bleibt offen, wie § 7 Nr. 1 GenG zu berücksichtigen ist.

 

Unklar ist schließlich, wie stille Gesellschafter zu behandeln sind. Wenn es nach der amtlichen Begründung nur auf die kapitalmäßige und nicht auf die mitgliedschaftliche Seite ankommen soll,[4] spricht das für deren Berücksichtigung. Entsprechendes gilt für die Inhaber noch nicht ausgeübter Umtausch- und Bezugsrechte auf Anteile, was insbesondere das bedingte Kapital bei Aktiengesellschaften nach §§ 192 ff. AktG angeht. Die Berücksichtigung beider Personengruppen dürfte vom Gesetzgeber jedoch nicht gewollt sein.

 

Unserer Auffassung nach muss ein Großteil dieser Fragen der Beantwortung durch Rechtsprechung und Rechtswissenschaft überlassen bleiben. Denkbar erscheint uns daher folgende Fassung des § 238a E-InsO.

 

 

(1)    Das Stimmrecht der Anteilsinhaber[5] des Schuldners bestimmt sich allein nach deren Beteiligung am Kapital[6]. Stimmrechtsbeschränkungen oder Mehrstimmrechte bleiben außer Betracht.

 

(2)    § 237 Abs. 2 gilt entsprechend.

 

 

6.      Zu Nr. 33 lit b)

 

Zu diesem Absatz verweisen wir auch auf unser in Anlage beigefügtes Positionspapier zum Restrukturierungsgesetz hin (zu § 21 Abs. 2 KredReorgG-E). Die Einbringung von Forderungen unterliegt Art. 10 ff. der Richtlinie 1977/91/EWG und damit einer Kapitalaufbringungskontrolle. Der Verzicht auf Nachforderungsansprüche gegen den Inferenten läuft dem zuwider und lädt i.V.m. den Einflussmöglichkeiten von Großgläubigern auf die Auswahl des Insolvenzverwalters zu Manipulationen nachgerade ein.

 

 

7.      zu Nr. 34: Ergänzung des § 254 InsO um die §§ 254a und 254b E-InsO

 

Der neue § 254a E-InsO lehnt sich an den bestehenden § 254 InsO an. Die Intention hinter den beiden Vorschriften mag zwar nachvollziehbar sein. Bereits die bisherigen §§ 228, 254 InsO haben jedoch, wie folgende Beispiele zeigen, eher dazu beigetragen, dass das Insolvenzplanverfahren in der Praxis nicht die Bedeutung erlangt hat, die ihm vom Gesetzgeber zugedacht worden war. Durch den neuen § 254a E-InsO wird dieser Mangel nicht behoben, sondern noch verstärkt.

 

 

Beispiel 2:

 

Zur Insolvenzmasse gehörte ein Erbbaurecht für eine Lagerhalle samt Erweiterungsfläche. Der Insolvenzverwalter hatte den Erbbauzins aus der Insolvenzmasse weiter bezahlt, um den Heimfall zu vermeiden. Im Insolvenzverfahren soll dieses Erbbaurecht durch Aufgabe der Erweiterungsfläche verkleinert und auf einen Investor übertragen werden.

 

Der Insolvenzplan enthält die Teilaufhebung des Erbbaurechts und die Einigung über den Rechtsübergang.

 

Nach Bestätigung des Insolvenzplans verweigert der Eigentümer seine Zustimmung nach § 7 ErbbauVO und verlangt (a) einen Eintritt des Investors in sämtliche, auch die nur schuldrechtlichen Bestimmungen sowie (b) die Eintragung einer weiteren Erbbauzinsreallast im Hinblick auf die vereinbarte Wertsicherung samt Unterwerfung des Investors unter die sofortige Zwangsvollstreckung.

 

Außerdem ist zur Teilaufgabe des Erbbaurechts die Zustimmung dinglich Berechtigter in Abteilung II und III des Grundbuchs erforderlich. Der Berechtigte eines eingetragenen Leitungsrechts verlangt eine inhaltsgleiche Absicherung am Erbbaugrundstück, zu der wiederum der Eigentümer nicht ohne weiteres bereit ist.

 

Schließlich ist eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung erforderlich. Der Insolvenzverwalter fällt aber nicht unter § 18 Grunderwerbsteuergesetz. Ob er als Partei kraft Amtes Steuerschuldner im Sinne des § 19 Grunderwerbsteuergesetz ist, ist fraglich.

 

Variante a):

 

Durch Vollzug einer Vermessung (Grundstückszerlegung) im Grundbuch zur Vorbereitung einer Straßengrundabtretung stimmt die Bezeichnung des Erbbaugrundstücks im Insolvenzplan nicht mehr mit der Realität überein. Das Grundbuchamt verlangt eine entsprechende Planänderung.

 

Variante b):

 

Der Insolvenzverwalter hatte mit dem Eigentümer des Erbbaugrundstücks eine schuldrechtliche Abrede dahingehend getroffen, dass letzterer für die Bestellung der Leitungsdienstbarkeit eine Entschädigung erhält. Dieser Punkt ist nicht im Insolvenzplan aufgenommen worden. Der Investor, den das Geschäft reut, beruft sich auf Formnichtigkeit des Insolvenzplans wegen Verstoßes gegen das Vollständigkeitsgebot nach § 125 BGB.

 

 

Beispiel 3:

 

Im Insolvenzplanverfahren soll das Kapital einer GmbH herabgesetzt, sodann durch Einbringung von Insolvenzforderungen erhöht und die GmbH-Anteile an einen Dritten verkauft werden. Der Insolvenzplan enthält hierzu die nötigen Gesellschafterbeschlüsse (Kapitalherabsetzung, Kapitalerhöhung, Zulassungsbeschluss, Satzungsänderung), den Einbringungsvertrag und den Vertrag über Verkauf und Abtretung der (neuen) Geschäftsanteile. Bei der Satzungsänderung unterläuft den Beteiligten in der Hektik des Verfahrens ein Schreibversehen (falsche §§-Nr.)

 

Nach Eingang der Anmeldung durch den Insolvenzverwalter bei Gericht verlangt das Handelsregister vom Insolvenzverwalter jeweils eine nach § 54 GmbHG bescheinigte Satzung für die Verhältnisse nach dem Kapitalschnitt und nach der Kapitalerhöhung. Zudem fordert das Handelsregister die Geschäftsführer auf, eine Gesellschafterliste einzureichen, und zwar für die Rechtsverhältnisse nach Kapitalherabsetzung, nach Kapitalerhöhung und nach Anteilsabtretung. Diese weigern sich jedoch, da sie alle diese Maßnahmen für nichtig halten. Der vom Insolvenzverwalter um eine Satzungsbescheinigung gebetene Notar verweigert die Bescheinigung wegen des Schreibversehens im Insolvenzplan. Das Handelsregister weist daraufhin die Anmeldung zurück.

 

Variante:

 

Die GmbH hat zwei Geschäftsführer. Ein GmbH-Geschäftsführer verweigert die Abgabe der Versicherung nach § 57 Abs. 2 GmbHG mit der Begründung, er halte die Sacheinlage für überbewertet und wolle sich nicht nach § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG strafbar machen. Der andere Geschäftsführer, der (§ 78 GmbHG) ebenfalls die Versicherung abgeben muss, ist unbekannten Aufenthalts. Die Gesellschafter weigern sich, die Geschäftsführer abzuberufen und neue zu bestellen.

 

Die Beispiele zeigen Folgendes:

 

(1)    Der Vollzug eines Insolvenzplans zwingt den Insolvenzverwalter, den fachlichen Unterbau eines Notariats vorzuhalten (siehe besonders Beispiel 2), wenn sein Büro nicht nur mit Zwischenverfügungen des Grundbuchamts (bzw. Handelsregisters) ausgelastet sein soll.

 

(2)    Bei Kapitalmaßnahmen im Hinblick auf die GmbH ist der Insolvenzverwalter auf die Kooperation der Geschäftsführer damit auch der Anteilsinhaber angewiesen. Gleiches gilt mit Blick auf abzugebende strafbewehrte Versicherungen auch für die AG/KGaA.

 

(3)    Durch die Schaffung von „Sondervorschriften“ wie §§ 254, 254a, 254b (E-)InsO wird die Chance vertan, dem Rechtsverkehr durch die bescheinigte Liste nach § 40 Abs. 2 GmbHG Rechtssicherheit zu geben und damit sowohl für die Masse einen besseren Preis zu erzielen als auch die Finanzierung des Erwerbs zu erleichtern.

 

(4)    Gerade bei den bereits in § 254 Abs. 1 Satz 2 explizit erwähnten Anteilsabtretungen (GmbH-Anteile sind an sich bereits Gegenstände im Rechtssinne, so dass dieser Satzteil überflüssig ist[7]) stehen dem Mehraufwand keine nennenswerten Kostenersparnisse gegenüber. Wie eine empirische Untersuchung des Deutschen Notarvereins aus dem Jahr 2006 gezeigt hat (veröffentlicht in notar 2006, S. 53 ff.[8]), lösen 90% der GmbH-Anteilsabtretungen eine Gebühr von nicht mehr als EUR 414,00 netto aus. Man darf annehmen, dass die Geschäftswerte bei Anteilsabtretungen aus Insolvenzmassen nicht unbedingt zu den verbleibenden 10% gehören werden.

 

(5)    Im Verfahren der Bestätigung des Insolvenzplans muss das Insolvenzgericht auch dessen Vollziehbarkeit prüfen. Insolvenzrichter sollte man somit nur nach jahrelanger Praxis als Grundbuch- und Registerrichter werden.

 

(6)    Erstens kommt es anders als man zweitens denkt. Ein Plan, und sei er auch noch so gut, kann die Fülle des Lebens nicht vollständig abbilden. „Murphy’s Law“ gilt auch für den Insolvenzplan.

 

Es dürfte nicht unwahrscheinlich sein, dass der Umstand, dass der Insolvenzplan in der Praxis noch nicht sein volles Potenzial „auf die Straße bringen“ konnte, vor allem damit zusammenhängt, dass die Insolvenzverwalter die mit ihm verbundenen Vollzugsprobleme (und die hiermit einhergehenden Haftungsgefahren!) scheuen – und das, wie die Beispiele zeigen, zu Recht.

 

Wir schlagen daher vor, die Attraktivität des Insolvenzplanverfahrens zu steigern, indem die Expertise des Notars für den Vollzug solcher Pläne besser genutzt wird. Zugleich würden auch die Insolvenzgerichte von der Prüfung der Vollziehbarkeit des Plans entlastet. Der bisherige Ansatz erscheint letztlich etwas „notarophob“.

 

Eine Lösung liegt darin, dass statt eines Verfügungsgeschäfts eine gesetzliche Ermächtigung des Insolvenzverwalters fingiert wird, die Festlegungen des Insolvenzplans zu vollziehen. Im Verfahren vor öffentlichen Registern (Handelsregister, Vereinsregister, Genossenschaftsregister, Partnerschaftsregister) ist ihm entsprechend § 254a Abs. 2 Satz 3 E-InsO die Sachbefugnis zur Vornahme von Anmeldungen einschließlich der Abgabe damit im Zusammenhang stehender Erklärungen (insbes. Versicherungen) zu übertragen.

 

Wir schlagen daher Folgendes vor:

 

§ 228 InsO wird wie folgt gefasst:

 

„Die Verpflichtung, Rechte an Gegenständen zu begründen, zu belasten, inhaltlich zu ändern, zu übertragen oder aufzuheben, kann in den gestaltenden Teil des Insolvenzplans aufgenommen werden.“[9]

 

§ 254a E-InsO wird wie folgt gefasst:

 

„Soweit aufgrund der Festlegungen des Insolvenzplans Rechte an Gegenständen[10] begründet, belastet, inhaltlich geändert, übertragen oder aufgehoben oder Beschlüsse[11] von Gesellschaften oder Gesellschaftsorganen[12] gefasst werden sollen, gilt der Insolvenzverwalter als in der vorgeschriebenen Form ermächtigt,[13] alle zur Durchführung des Insolvenzplans erforderlichen und zweckdienlichen[14] Rechtshandlungen vorzunehmen und Erklärungen entgegenzunehmen[15]. Er ist weiterhin befugt, hierzu erforderliche Anmeldungen zum zuständigen Registergericht und vorgeschriebene Bekanntmachungen[16] vorzunehmen sowie zur Eintragung erforderliche Erklärungen[17] abzugeben, ohne dass es hierzu der Mitwirkung der sonst zur Anmeldung berechtigten und verpflichteten Personen bedarf.[18]“

 

Konsequenterweise muss allerdings der Insolvenzverwalter u. a. in den Anwendungsbereich der §§ 82 GmbHG, 399 AktG, 313 UmwG einbezogen werden. Der Insolvenzverwalter kann nicht außerhalb der (Strafrechts-)Ordnung stehen. Gerade die Strafandrohung bei der Überbewertung von Sacheinlagen würde zugleich auch dem Schutz der anderen Anteilsinhaber dienen. Mangels hinreichender strafrechtlicher Expertise dürfen wir anregen, hierzu auf den Sachverstand des Hauses zurückzugreifen.

 

Der Vorschlag ist in Satz 1 bewusst etwas offener formuliert, um auf unvorhergesehene Schwierigkeiten (vgl. oben Beispiel 2) besser reagieren zu können. So lassen sich auch Fehler des Insolvenzplans „ausbügeln“. Einem Vollmachtsmissbrauch wird bei formbedürftigen Rechtsgeschäften durch §§ 4 BeurkG, 14 Abs. 2 BNotO vorgebeugt. Über die hoheitliche Funktion des Notars verwirklicht sich insoweit auch das Wächteramt des Staates.

 

Wir weisen in dieser Hinsicht nochmals ausdrücklich auf unser in der Anlage beigefügtes Positionspapier zum Restrukturierungsgesetz hin. Die gegen den Reorganisationsplan dort vorgebrachten Einwände (insbesondere mit Blick auf den sachenrechtlichen Bestimmtheits- und Publizitätsgrundsatz sowie internationalprivatrechtliche Probleme bei Auslandsvermögen des Gemeinschuldners) gelten auch hier, mag auch in einer „normalen“ Insolvenz der Zeitdruck der Beteiligten nicht so groß sein wie in der Krise eines systemrelevanten Kreditinstituts.

 

Zu Ergänzungen und näheren Darlegungen stehen wir gern zur Verfügung.

 

[1]           Zur vergleichbaren Lage im Gesellschaftsrecht vor Schaffung des § 246a AktG siehe Vossius, ZGR 2009, S. 366.
[2]           EuGH-Entscheidungen „Karella“ vom 30. Mai 1991 (Rs. C-19/90, C-20/90, Slg. 1991, I-2691 (BeckRS 2004, 74810) und „Kefalas“ vom 12. Mai 1998 (Rs. C-367/96, Slg. 1998, I-2843, EuZW 1999, 57)
[3]           Siehe etwa Artt. 5 ff. der Richtlinie 2007/26/EG.
[4]           Siehe S. 37 des Disk-E.
[5]           Damit wird auf die Terminologie des UmwG zurückgegriffen: Stille Gesellschafter und Inhaber von Umtausch-Bezugsrechten sind damit ausgeschlossen.
[6]           Was zum Kapital gehört, bestimmt sich letztlich nach dem Bilanzrecht.
[7]           Die Verpfändung/Nießbrauchsbestellung an GmbH-Anteilen scheint durch die Formulierung ohnedies gar nicht erfasst, so dass für die inhaltliche Änderung eines Pfandrechts an einem GmbH-Anteil § 15 GmbHG wieder gelten dürfte.
[8]           Abrufbar unter http://www.dnotv.de/_files/Dokumente/Sonstiges/Kosten.pdf.
[9]           Die bisherigen Sätze 2 und 3 können dann entfallen. Es reicht aus, beim Vollzug des Insolvenzplans die entsprechenden Grundbuchrecherchen durchzuführen, was das Insolvenzplanverfahren im Vorfeld nicht unerheblich entlastet.
[10]          D. h. Sachen und Rechte, vgl. § 90 BGB.
[11]          Im Zusammenhang mit Beschlüssen stehende Willenserklärungen wie etwa der Verzicht auf das Bezugsrecht oder Zustimmungen/Verzichte nach dem UmwG sind letztlich Verfügungen über Gegenstände und fallen daher bereits unter den ersten Halbsatz.
[12]          Siehe etwa §§ 204, 221 AktG.
[13]          Damit ist die ein Jahrhundert alte Streitfrage zwischen Amts- und Vertretertheorie als hier nicht entscheidungserheblich offengelassen.
[14]          Man könnte auch daran denken, Änderungen des Insolvenzplans mit Zustimmung des Gerichts zuzulassen (so etwa § 6 Abs. 1 Satz 2 KredReorgG-E).
[15]          Mit der Ermächtigungsfiktion erübrigt sich auch eine explizite Ermächtigung des Insolvenzverwalters zu Ladungen zu Gesellschafterversammlungen etc.
[16]          Vgl. etwa §§ 183a Abs. 2, 186 Abs. 2, 221 Abs. 2 AktG.
[17]          Hierunter fallen insbesondere die strafbewehrten Versicherungen nach §§ 57 Abs. 2, 57i Abs. 2, 58 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, 184 Abs. 1 Satz 3, 188 Abs. 2, 201 Abs. 3, 203 Abs. 1 Satz 1, 205 Abs. 6, 210 Abs. 1 Satz 2 AktG, 16 Abs. 2, 140, 146 UmwG. Weiter fallen hierunter von den Organen zu unterzeichnende Berichte, siehe z. B. §§ 293a, 312, 327c Abs. 2 AktG oder §§ 8, 122e, 127 UmwG.
[18]          Diese Klarstellung erscheint wegen §§ 78 GmbHG, 108 HGB, 184 AktG geboten.

 

Anlage: Positionspapier des Deutschen Notarvereins zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Restrukturierung und geordneteten Abwicklung von Kreditinstituten (Restrukturierungsgesetz)

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