Datio in solutum – London Economics „Study on means to protect consumers in financial difficulties” vom Dezember 2012

 

Stellungnahme vom 16.10.2013

Sie (sc. die datio in solutum) verstößt außerdem gegen die guten Sitten, da sie dem Gläubiger einen Anreiz liefert, diejenigen im Stich zu lassen und zu betrügen, die nicht in sie einwilligen; es steht fest, dass Abreden dieser Art nicht zu billigen sind. Der Anreiz zum Betrug liegt darin, dass, wenn es dem Gläubiger ungestraft erlaubt ist, solche Abreden zu treffen, solche Vereinbarungen seitens der Gläubiger bei der Darlehensvergabe immer verlangt werden wird, damit sie sich die Sache für einen Spottpreis aneignen können. Die Schuldner dagegen, die in Geldnot sind, werden diese Abrede neben anderen daher widerstandslos akzeptieren, damit sie an das Geld herankommen.“[1]

 

Der Deutsche Notarverein dankt für die Unterrichtung über die Studie und kommt Ihrer Bitte zu einer fachlichen Beurteilung aus unserer Sicht gern nach.

 

1.      Die Studie im Kontext

Gut zehn Jahre nach der ersten Studie von London Economics[2] zum Hypothekenrecht, die ebenfalls im Auftrag der GD Binnenmarkt erstellt wurde und aus der das Grünbuch Hypothekenrecht von 2004 hervorging, liegt nun eine weitere Untersuchung aus diesem Haus vor uns.

Die erste Studie enthielt die Empfehlungen der Londoner City zum Hypothekarkredit, die über die Immobilienkrise zur Finanzkrise und weiter zur Währungskrise geführt haben. Wir meinen damit vor allem die Maßnahmen, die London Economics als Transmissionsriemen der angelsächsischen Finanzindustrie vorschlug, um „klassische“ Hypothekardarlehen mit langfristiger Zinsbindung und gesetzlich vorgegebener kongruenter Refinanzierung aus dem Markt zu drängen. Damals wurden die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen für Hypothekarkredite als überflüssige „Regulierung“ kritisiert, ganz im Sinne der Chicagoer Schule.

Die Folgen sind bekannt. Hunderttausende können ihre anfangs so zinsgünstigen Hypothekardarlehen nicht mehr bedienen. Zwangsversteigerungen führen zur Verödung ganzer Landstriche, etwa in den USA, dem Vereinigten Königreich, Irland und Spanien, aber auch in Ungarn und in den Niederlanden. Die anfängliche Immobilienkrise von 2006/2007 hat sich ab 2007 zur Finanz- und schließlich zur Währungskrise ausgeweitet. Sie ist noch lange nicht überwunden. Ihre Folgen sind u. a. die Vernichtung kapitalgedeckter Altersversorgung durch financial repression (gezielte Niedrigverzinsung von Ersparnissen) und die generationenübergreifende Sippenhaft für Staatsschulden.

Die Kreditgeber haben sich währenddessen schon lange mittels der „Verbriefung“ ihrer Kreditportfolios und deren Veräußerung an zum Teil unverantwortliche, zum Teil ahnungslose Anleger aus der Verantwortung gestohlen. Die verantwortlichen Akteure haben ihre Boni er- und behalten. Den ideologischen Brandstiftern u. a. in Gestalt von Einrichtungen wie London Economics ist noch nicht einmal ansatzweise das Handwerk gelegt. Mit Bertold Brecht: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.

Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass der volkswirtschaftliche Gesamtschaden solcher und ähnlicher „Studien“ deren Kosten um einige Zehnerpotenzen übersteigt. Man müsste erwarten, dass hieraus Konsequenzen gezogen würden und jedenfalls die Praxis der Auftragsvergabe geändert würde.

Stattdessen lässt man die Urheber der ersten Studie zu den von ihnen mit ausgelösten Folgen für den Kreditnehmer, einen Mittäter hieran, erneut Stellung nehmen.[3] Angesichts des bereits erwiesenen eminenten volkswirtschaftlichen Schadens wäre es höchste Zeit, diese Praktiken in der Kommission näher zu untersuchen und deren Ursachen restlos zu beseitigen.

 

2.      Methodologie der Studie

a)     Ökonomische Methodologie

Trotz ihres Titels diskutiert die Studie nicht etwa präventive Maßnahmen zum Schutz des Kreditnehmers vor Überschuldung und Verlust des Pfandobjekts wie etwa standardisierte Kreditwürdigkeitsprüfung, Tilgungsstreckung, Umschuldung und dergleichen. Sie setzt stattdessen ausschließlich auf eine als datio in solutum apostrophierte Verfallabrede[4] bzgl. des Pfandobjekts. Verfallabreden sind Klauseln, nach denen der Gläubiger bei Pfandreife die Übereignung der verpfändeten Sache verlangen kann, ohne dass eine Pfandverwertung auf einem wie auch immer strukturierten Markt stattfindet.

Hierbei unterscheidet die Studie eine Verfallabrede, die ohne Rücksicht auf den Wert des Pfandobjekts zum Erlöschen des hierdurch gesicherten Darlehens führt (sog. „strong datio in solutum“) und eine Abrede, bei der nur der Zeitwert des verfallenen Pfandobjekts auf das Darlehen angerechnet wird (sog. „weak datio in solutum“).[5] Ohne diese Differenzierung letztlich klar durchzuhalten und ohne eindeutiges Ergebnis diskutiert sie deren Vor- und Nachteile. Der Fall, dass das Pfandobjekt mehr wert sein könnte als das geschuldete Restdarlehen und was dann zu geschehen hat, ist übrigens nicht behandelt.

Methodisch legt die Studie ein marktliberales Wirtschaftsverständnis zugrunde. Allseits informierte und auf Maximierung des eigenen Nutzens bedachte Marktteilnehmer stehen einander gegenüber. Das Machtgefälle zwischen Verbraucher und Bank, sei es beim Abschluss des Darlehensvertrags oder – erst recht – beim Eintritt des Sicherungsfalls wird nicht berücksichtigt. Außer Betracht bleiben weiter externe Effekte wie etwa die Auswirkungen einer Verfallabrede auf Handels- und Steuerbilanz und damit eine mögliche Subventionierung derartiger Praktiken durch den Steuerzahler, die einen zusätzlichen Anreiz bieten und das Marktgleichgewicht verzerren könnte (näher dazu unten 3.).

Die Studie bezieht methodisch klar Position gegen Behavioural Economics. So findet sich z. B. nichts zu den auch aus der ökonomischen Analyse des Kapitalmarktrechts (Anlegerverhalten) bekannten Erkenntnissen, dass Ereignisse, die möglicherweise in der Zukunft eintreten können, in der Risikoabschätzung zu gering bewertet werden („overoptimism“). Genau das aber ist beim Kreditnehmer im Zeitpunkt der Darlehensaufnahme das Problem.[6]

Außer Betracht bleiben schließlich die Ursachen für Überschuldung. Diese können liegen in:

(1)   zu großzügiger Kreditwürdigkeitsprüfung bei der Darlehensvergabe;

(2)    der Erhöhung der Zinslast aufgrund Änderung der Marktverhältnisse bei variablen Darlehen und/oder Anschlussfinanzierungen;

(3)    persönliche Schicksalsschläge (Wegfall des Einkommens durch Krankheit, Tod, Ehescheidung, Arbeitslosigkeit etc.).

 

Dass eine Verfallabrede in all diesen Fallgruppen das Mittel der Wahl sein soll, überrascht angesichts der höchst unterschiedlichen Ausgangssituationen.

b)     Juristische Methodologie und Rechtslage

aa)   Methodologie

Aus rechtlicher Sicht erscheint die Unterscheidung zwischen strong datio in solutum und weak datio in solutum unzureichend. Es bedarf einer weiteren Differenzierung nach folgenden Kriterien, welche zusammengenommen eine mehrdimensionale Matrix ergeben:

(1)    Auswirkung des Verfalls auf die Forderung

a)     Anrechnung;
b)     Erlöschen der Forderung.

(2)    Im Fall von (1) a):

a)     Bemessung des Werts durch einen Dritten (mit einer weiteren Ausdifferenzierung danach, wer diesen Dritten bestimmt);
b)     Bemessung des Werts durch den Gläubiger;
c)     Bemessung des Werts durch den Schuldner.

(3)    Im Fall von (1) b): Wie wird ein die Forderung übersteigender Wert des verfallenen Pfandobjekts behandelt?

a)     Pflicht des Gläubigers durch Herausgabe des Mehrwerts;
b)     Gläubiger behält den Mehrwert („aleatorische“ Verfallklausel).

(4)    Wer darf die datio in solutum verlangen?

a)     Nur der Gläubiger?
b)     Nur der Schuldner?
c)     Jeder von beiden?

(5)    Zu welchen Bedingungen erfolgt die Übertragung des Eigentums?

a)     Unter Ausschluss der Gewährleistung, wie bei einer Zwangsversteigerung;
b)     mit der gesetzlichen Gewährleistung durch den Veräußerer.

Allein hieraus ergibt sich eine Vielzahl von Regelungsmöglichkeiten, welche jede für sich auf ihre rechtsökonomischen Auswirkungen zu untersuchen wäre. Diese Untersuchung bleibt die Studie dem Leser jedoch schuldig.

 

bb)   Rechtslage

aaa) Verbot der Verfallabrede

Ein Vergleich der dem Verfasser zugänglichen kontinentaleuropäischen Zivilrechtsordnungen liefert folgendes Bild:

 

Land Gesetz Inhalt
Deutschland § 1149 BGB erst nach Pfandreife zulässig[7]
Österreich § 1371 Satz 2 ABGB Verbot
Schweiz Art. 816 Abs. 2 ZGB Verbot
Italien Art. 2744 Codice civile Verbot
Frankreich Art. 2348, 2365, 2459-2460 Code Civil zulässig bei gage und nantissement (entspr. Sicherungsübereignung), dagegen nur mit Schätzgutachten bei der Hypothek möglich soweit nicht der Hauptwohnsitz[8]
Niederlande Art. 3-268 BW Verkauf durch Notar, daher kein Bedarf
Spanien Art. 1859 Código Civil Verbot

 

bbb)   Herkunft des Verbots

Die weitgehende Übereinstimmung der kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen kommt nicht von ungefähr. Die genannten Bestimmungen gehen zurück auf eine Konstitution Kaiser Konstantins aus dem Jahr 320 n. Chr. Während in der Zeit der Republik und des Prinzipats die Zulässigkeit einer datio in solutum ungeregelt war (aufgrund der funktionierenden Geldwirtschaft bestand hierfür kein Bedarf),[9] nahmen in der tiefen ökonomischen Krise des Imperiums im 3. nachchristlichen Jahrhundert derartige Abreden zu. Kaiser Konstantin sah sich schließlich zu deren Verbot veranlasst. Seine Nachfolger hielten hieran fest, denn die Konstitution wurde in den Codex Theodosianus[10] und sodann (im Jahr 532 n. Chr.) in den Codex Iustiniani übernommen.[11] Über die Rezeption des Römischen Rechts fand das Verbot Eingang in die Zivilrechtssysteme Europas.

Das Verbot wendet sich gegen Verfallabreden beim Pfandkredit. Diese sind unzulässig. Verfallabreden beim Kauf im Fall der Nichtzahlung des Kaufpreises (Lex Commissoria[12]) blieben unberührt. Das ist bis heute so geblieben. Das betrifft nach geltendem Recht etwa die Rückgewährpflicht der gekauften Sache im Fall des Rücktritts wegen Nichtzahlung des Kaufpreises, ein Vertragsstrafeversprechen,[13] die Vindikation der gelieferten Sache beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt nach § 449 BGB oder die Abrede einer Leistung an Erfüllung statt anstelle der Kaufpreiszahlung nach § 364 BGB. Letzteres ist heute besonders gebräuchlich bei der Inzahlungnahme des Altfahrzeugs beim Kauf eines Neuwagens.

 

ccc)  Position der Studie hierzu

In der Studie findet sich hierzu nichts. Dies gilt insbesondere für deren Teil 4 „Mortgage solutions and datio in solutum“[14], dort werden jedenfalls die vorgenannten Bestimmungen der nationalen Rechtsordnungen noch nicht einmal erwähnt.

Stattdessen finden sich z. B. zum deutschen Recht Aussagen wie,[15] dass nach deutschem Recht die den Versteigerungserlös übersteigende Forderung des Gläubigers dann erlöschen soll, wenn der Gläubiger den Pfandgegenstand in der Zwangsversteigerung selbst erwirbt. Die Studie erläutert diese These sogar mit einem Rechenbeispiel. Belege aus dem deutschen Recht für die Richtigkeit dieser Aussage finden sich jedoch nicht. Es gibt diese auch nicht, denn die Behauptung ist falsch.

Die Studie schöpft ihre Grundlagen aus einer Fragebogenaktion. Befragt wurden Banken, Bankenverbände, Schuldnerberatungen sowie Justiz- und Finanzministerien.[16] Dass sich niemand aus diesem Kreis zu den rechtlichen Rahmenbedingungen von repossession, Verfallabrede oder datio in solutum geäußert hat, erscheint uns ausgeschlossen.[17]

Das vollkommene Ausblenden dieser Rechtslage gibt Rätsel auf. Der Befund lässt zwei Deutungen zu:

  1. Möglich ist eine – dann allerdings bemerkenswerte – Ignoranz der Verfasser der Studie. Für diese Annahme sprechen zum einen die o. g. schlicht falschen Ausführungen zum deutschen Zwangsversteigerungsrecht. Es erscheint zum anderer denkbar, dass einem angelsächsisch geprägten Juristen, dessen Begrifflichkeit von der Kategorie der „repossession“ des Common Law geprägt ist, der andere rechtsdogmatische Kontext des konstantinischen Verbots der Lex Commissoria nicht auf den ersten Blick erschließt. Gegen die Mitwirkung englischer Juristen an der Studie spricht jedoch, dass in den Ausführungen zum englischen Recht nicht zwischen Britannien und Schottland differenziert wird und vor allem, dass keine Präjudizien des case law zitiert werden. Bereits der englische Wikipedia-Artikel zu „repossession“ ist deutlich informativer als die Studie.
  2. Möglich ist alternativ auch ein Weglassen mit direktem Vorsatz. Man denkt an das von Stalin veranlasste Wegretouchieren Leo Trotzkis auf Fotos, um die Erinnerung an seinen politischen Widersacher zu tilgen. Dafür spricht die Interessenlage der Verfasser der Studie (dazu unten 4.).

In beiden Deutungen bleibt der Vorwurf an die Kommission, dass bei der Abwicklung solcher Aufträge seitens der GD Markt offenbar keinerlei Evaluation und Qualitätskontrolle stattfindet. Das ist mehr als nur ein unsachgemäßer Umgang mit Steuergeldern. Unsere Erfahrungen mit der GD Justiz sind übrigens nicht so.

 

3.      Gründe für ein Verbot von datio in solutum beim Pfandkredit

Die großenteils bereits von Hugo Donellus angeführten Gründe für das konstantinische Verbot der Verfallabrede sind – nochmals zusammengefasst – folgende:

  1. Die Verfallabrede schafft für den Gläubiger einen Anreiz, den Schuldner gezielt in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben bzw. ihm bei Schwierigkeiten keine Alternativen[18] anzubieten, damit er billig an das Pfandobjekt herankommt. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Darlehen schon zu einem guten Teil getilgt ist und der Schuldner dennoch wegen persönlicher Schicksalsschläge zahlungsunfähig wird.
  2. Der Schuldner ist bei Abschluss des Kreditvertrags auf die Erlangung der Darlehensmittel fokussiert und bzgl. des Risikos seiner künftigen Zahlungsunfähigkeit überoptimistisch.[19]
  3. Die Verfallabrede ist mit der Rückgewährpflicht bei Rücktritt, dem Vertragsstrafeversprechen[20], dem Eigentumsvorbehalt oder der Inzahlungnahme einer anderen Sache beim Kauf nicht vergleichbar. Zum einen hat hier der Käufer Alternativen. Zum anderen begegnen sich beim Kauf die Parteien auf Augenhöhe und der Käufer kann über den Wert verhandeln, mit dem die von ihm hingegebene Sache auf die Kaufpreisforderung angerechnet wird.[21]
  4. Gerade bei einer strong datio in solutum eröffnet zudem das Bilanzrecht dem Gläubiger Gestaltungsspielraum. Er bewertet die in sein Aktivvermögen übergehende Sache niedriger als den Betrag des erlöschenden Darlehens. Der entsprechende Gutachter wird sich finden. So kann der Gläubiger zum einen stille Reserven legen und zum anderen die Differenz zwischen Wertansatz des verfallenen Pfandobjekts und der Darlehensforderung als Verlust (und damit gewinnmindernd) ausweisen. In Höhe seiner Steuerquote zahlt diesen Verlust dann der Steuerzahler. Bei einer weak datio in solutum lässt sich diese Wirkung durch Einzelwertberichtigung der verbleibenden Restschuld erreichen. Dieser externe Effekt schafft ein deutliches Marktungleichgewicht und Machtgefälle zwischen den Beteiligten.

Die Gründe 1-3 hat bereits Hugo Donellus in seiner dieser Stellungnahme zum Teil als Zitat vorangestellten Kommentierung ebenso prägnant wie erschöpfend dargelegt. Sie sind zugleich ein Beleg für die lange Tradition von Behavioural Economics in der (kontinental-)europäischen Rechtstradition. Dadurch wird im Übrigen der „Hype“ um die ökonomische Analyse des Rechts als angebliche Neuentdeckung deutlich relativiert.

 

4.      Cui bono? – Schlussfolgerungen

Man fragt sich, wem die einseitige Fokussierung der Studie auf datio in solutum und dies insbesondere in der Variante der strong datio in solutum anstelle von präventiven Maßnahmen (siehe oben 2. a)) nutzt.

Die Antwort ist dieselbe wie zur erwähnten Studie von London Economics aus dem Jahr 2003. Damals wie heute geht es um das Interesse der angelsächsischen Finanzindustrie, die rechtlichen Rahmenbedingungen des Binnenmarkts zu ihren Gunsten zu verändern. Die Möglichkeit, billig an Immobilien heranzukommen, diese steuersubventioniert in den eigenen Bestand zu nehmen und später gewinnbringend zu veräußern, ist lukrativ und wirkt sich auf die Vergütung der hiermit befassten Mitarbeiter positiv aus.

Nicht von ungefähr ist der Vorwurf des anstößigen Profitierens von der Notlage eines anderen in der 2. Hälfte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts gegen die DG-Bank erhoben worden, die im Jahr 1985 die Bayerische Raiffeisenzentralbank aufgefangen hatte und dabei günstig an erhebliche Bestände unverkaufter Bauträgerobjekte gelangt war. Diese konnten in der ab 1988 wieder anziehenden Immobilienkonjunktur mit erheblichen Gewinnen verkauft werden.

Mit Verbraucherschutz hat das alles nichts zu tun. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Schlagwort „Verbraucherschutz“ als politisch korrektes Label gewählt wurde, um Inhalte zu „verpacken“, die noch vor zehn Jahren (siehe die letzte Studie) mit dem Etikett der „Deregulierung“ vermarktet worden wären. Letzteres ist jedenfalls im Finanzsektor derzeit politisch eher absolut „out“. Für künftige Studien dieser Art dürfen wir schon jetzt als zeitlos politisch korrekte Werbebanner die Verringerung des CO2-Ausstoßes, den Schutz des Pandabären[22] oder die Rettung Venedigs vorschlagen.

Wir sehen es nicht als im Rahmen unserer Fachkompetenz liegend an, den Banken Empfehlungen für Alternativvorschläge zu geben. Dennoch erscheinen uns die Überlegungen der European Mortgage Federation – EMF in ihrer Stellungnahme vom 21.06.2013 durchaus schlüssig. Prävention bei der Kreditvergabe und ein flexibles Instrumentarium für Schuldner in Zahlungsschwierigkeiten dürften allemal die bessere Lösung sein. Ein Blick auf die Darlehenskonditionen und die Ausfallwahrscheinlichkeit in unserem Land im Vergleich zu anderen Staaten liefert hierfür einen empirischen Beleg.

Abschließend noch ein Hinweis auf die mit Verfallabreden verbundenen Kollateralschäden:

Datio in solutum kennen wir alle aus den Erzählungen unserer Eltern und Großeltern. Diese fuhren nämlich zum Teil schon während des Krieges, jedenfalls aber nach 1945 mit ihren Wertsachen aufs Land, um bei den Bauern „schwarz“ Silberbesteck gegen Butter und Speck zu tauschen. Von dem damit verbundenen gesellschaftlichen Ansehensverlust hat sich die bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland nie wieder erholt. Seit den 50er Jahren sterben die kleinbäuerlichen Betriebe. Das mag ökologisch zwar nicht sinnvoll sein, lässt aber unsere Gesellschaft kalt. Wer daher von Verfallklauseln schwadroniert, sollte sich der Zähigkeit des kollektiven Gedächtnisses einer Nation bewusst sein.

 

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Fußnoten:

[1] Hugo Donellus (1527-1591), Commentarii in Codicem Iustiniani, ad tit. 35 lib. 8 C de pactis in pignore. ad L. ult. Randziffer 4 (= Const. C. 8, 34, 3; zitiert nach Hugo Donellus, Opera Omnia, Band IX, Lucca 1756, S. 1226). Übersetzung durch den Verfasser. Der Text selbst dürfte um 1570 entstanden sein. Als herausragender Vertreter der französischen jurisprudence élégante im Späthumanismus gehört Hugo Donellus (Hugues Doneau) zu den Klassikern europäischer Rechtswissenschaft (hierzu Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2 Aufl. 1967, S. 167 f.
[2] Die Londoner Unternehmensberatung London Economics darf trotz der Namensähnlichkeit nicht mit der London School of Economics (LSE) verwechselt werden. Inwieweit sie mit der Bostoner Unternehmensberatung London Economics International, LLC, verflochten ist, entzieht sich unserer Kenntnis.
[3] Mögliche Gründe für die Auftragsvergabe könnten im Selbstverständnis von London Economics liegen, vgl. http://www.londecon.co.uk: „We are one of Europe’s leading economics consultancies. We offer client driven, world class research using innovative techniques.” (Hervorhebung durch Verfasser).
[4] So die Bezeichnung in unserer Rechtsordnung.
[5] Studie S. XIII, 201 ff.
[6] So bereits Hugo Donellus, a. a. O. (Fn. 1).
[7] Anders (generelles Verbot) z. B. noch das Bayerische Hypothekengesetz aus dem 19. Jahrhundert, hierzu Kober in Staudinger, BGB, 9. Aufl. 1926, § 1149 BGB Anm. 1. Verfallvereinbarungen nach Pfandreife unterliegen der Inhalts- und Ausübungskontrolle nach § 138 BGB (Wolfsteiner in Staudinger, BGB, Stand 2009, § 1149 BGB Rz. 20).
[8] Hierbei handelt es sich um „totes Recht“, d. h., die französische Kreditwirtschaft macht hiervon keinen Gebrauch.
[9] Max Kaser, Das römische Privatrecht, Band II, 1959, S. 233 (§ 252 I).
[10] CT 3,2,1 (entstanden um 438 n. Chr.).
[11] Const. C. 8, 34, 3.
[12] Im gemeinen Recht bezeichnet man als Lex Commissoria die Einräumung eines Rücktrittsrechts des Verkäufers bei Nichtzahlung des Kaufpreises; näher hierzu Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Band II § 323 bei FN 2 (zit. nach der 4. Aufl. 1875) und Max Kaser, Das römische Privatrecht, Band I, 1955, S. 468 (§ 131 VII). Rechtsvergleichend hierzu auch Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, 1. Aufl. 1990 (zitiert nach Nachdruck 1992), S. 530-532, 737-738, 744-747 sowie S. 224 zur Verpfändung.
[13] Hierzu BGH v. 23.06.1995, V ZR 265/93, NJW 1995, 2635 = ZIP 1995, 1322 = BGHZ 130, 101 Tz. 14 unter Hinweis auf BGH v. 22.01.1993, V ZR 164/90, NJW-RR 1993, 464, 465; BGH v. 25.10.2002, V ZR 253/01, NJW 2003, 1041 = ZIP 2003, 107, Tz. 14. Die Zitate belegen, dass dem BGH der zivilrechtsdogmatische Kontext des § 1149 BGB sehr wohl bewusst ist.
[14] Studie, S. 106-154.
[15] Studie, S. 121.
[16] Siehe Annex 2 und 3 der Studie. Außerdem sind in Annex 4 diverse Reformgesetze im Bereich Schuldnerschutz, Restrukturierung und Insolvenz zahlreicher Länder aufgeführt.
[17] Vgl. etwa das Schreiben des Verbands Deutscher Pfandbriefbanken an Richard Heys, Senior Consultant von London Economics, vom 19.07.2012.
[18] Umfinanzierung, Tilgungsstreckung, Besserungsabrede etc.
[19] So heute noch BGH vom 23.6.1995, V ZR 265/93, NJW 1995, 2635 = ZIP 1995, 1322 = BGHZ 130, 101 Tz. 11: „Die eigentümliche Gefahr einer solchen Vereinbarung liegt unter anderem darin, daß der Schuldner, um in der Gegenwart Kredit zu erhalten, in den Verlust der meist wertvolleren Pfandsache für den in der Zukunft liegenden und von ihm nicht ernstzunehmenden Fall der Zahlungsschwierigkeiten einwilligt in der trügerischen Hoffnung, er werde vor dem Verfallstag durch Zahlung das Pfand einlösen können.“
[20] Siehe hierzu allerdings die Herabsetzungsmöglichkeit nach § 343 BGB.
[21] Hugo Donellus, a. a. O. (Fn. 1), Randziffer 5.
[22] Der Schutz von Delfinen und Walen empfiehlt sich angesichts der Fischereipolitik der EU dagegen wohl nicht und wäre daher nicht „client driven“ im Sinne von Fußnote 3.

 

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