Berufsreglementierung – Aktualisierung der Reformempfehlungen an die Mitgliedstaaten – Rückmeldung zur Initiative der Europäischen Kommission

Stellungnahme vom 30.03.2021

Die GD GROW der Europäischen Kommission plant eine Aktualisierung der Reformempfehlungen für die Reglementierung der im Fahrplan genannten bestimmten freien Berufe (darunter Architekten, Ingenieure und Rechtsanwälte), um sie „wettbewerbsfähiger, anpassungsfähiger und innovationsfreundlicher“ zu machen. Nach dem vorliegenden Fahrplan soll jedoch nicht nur eine Evaluation der bereits erfassten freien Berufe erfolgen, sondern es sollen vielmehr die Empfehlungen zu nationalen Reformen bei den reglementierten Berufen nunmehr auch auf den Beruf der Notarinnen und Notare[1] erstreckt werden. Dabei sollen Notare in den europäischen Regulierungsindex „restrictiveness indicator for national regulation in professional services“ aufgenommen werden.

 

Die Aufnahme der Notare in die Reformempfehlungen für die Berufsreglementierung und die Aufnahme in den europäischen Regulierungsindex lehnen wir mit Nachdruck ab.

Notare waren bislang aus gutem Grund nicht in den europäischen Regulierungsindex einbezogen. Die derzeitige Initiative verkennt bedauerlicherweise sowohl die grundlegenden Unterschiede zwischen den Notaren und den bislang in den Regulierungsindex einbezogenen freien Berufen als auch die Unterschiede zwischen Notaren im lateinischen Notariat wie u. a. in Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien (kontinentaleuropäisches Notariat) sowie Notaren nach angloamerikanischem Vorbild bzw. im deregulierten Notariat.

 

  1. Zwar mag die GD GROW zutreffend davon ausgehen, dass Freiberufler – wie etwa Immobilienmakler – ihren Beruf grundsätzlich ohne staatliche Regulierung ausüben könnten und in dieser Freiheit, aus welchen Gründen auch immer, durch staatliche Regulierung sodann eingeschränkt werden.

Der (deutsche) Notar im lateinischen Notariat kontinentaleuropäischer Prägung hat jedoch keinen solchen marktwirtschaftlichen Beruf, der durch staatliche Regulierung beschränkt wird. Sein hoheitlicher Beruf leitet die Befugnisse originär aus dem Staat ab, wird also durch den Staat vielmehr erst eröffnet, indem der Staat einen Teil der eigentlich ihm obliegenden Justizaufgaben als Amt auf den Notar als öffentlichen Amtsträger überträgt.[2] Der Notar nimmt dabei als selbstständiger Berufsträger Aufgaben wahr, die der Gesetzgeber auch dem eigenen Verwaltungsapparat vorbehalten könnte.[3] Diese Übertragung durch den Staat erfolgt nur in einem eng umrissenen regulatorischen Rahmen, „dessen Nähe zum öffentlichen Dienst Sonderregelungen zulässt“.[4]

Es ist aus unserer Sicht daher bereits unzutreffend, jedenfalls irreführend, im Falle des deutschen Notars von einem reglementierten Beruf im eigentlichen Sinne zu sprechen.

 

  1. Das Ziel der Initiative, das Notariat „wettbewerbsfähiger“ zu machen, verkennt den notariellen Beruf und geht damit zumindest für Deutschland ins Leere.

Das deutsche Rechtspflegesystem baut in Zivilsachen auf einem Zweisäulenmodell auf. Die erste Säule bildet die streitige Gerichtsbarkeit, die zweite Säule ist die vorsorgende Rechtspflege, die das Entstehen von Streitigkeiten vermeiden soll. Im Rahmen der vorsorgenden Rechtspflege ist der Notar mit der von ihm wahrgenommenen Beurkundung von Rechtsvorgängen ein Teil des staatlich-hoheitlichen justiziellen Gefüges.

Auch wenn man den deutschen Notar als „reglementierten Beruf“ betrachten wollte – der jedoch bezeichnender- und richtigerweise aus der Anwendung der BQ-RL[5], der DL-RL[6] und der VP-RL[7] ausgeklammert ist –, muss festgehalten werden, dass die Reglementierung allein darin begründet liegt, seitens des Notars die ihm übertragenen öffentlichen Aufgaben unabhängig, objektiv und weisungsfrei erfüllen zu können.

Dieses Amtsverständnis ist zwingend erforderlich, um allen Bürgerinnen und Bürgern – unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – Zugang zur vorsorgenden Rechtspflege zu ermöglichen. Der einzelne Amtsträger hat auch weniger lukrative und unter rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten uninteressante Aufträge – aber immer in höchster Qualität – auszuführen. Die vorsorgende Rechtspflege soll nicht nur denjenigen Verbrauchern vorbehalten bleiben, die hohen Profit versprechen und damit innerhalb eines marktwirtschaftlichen Wettbewerbssystems den Vorzug erhalten würden. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist auch, dass Notare Beurkundungen grundsätzlich nicht ablehnen dürfen, also eine gesetzliche Urkundsgewährungspflicht besteht (§ 15 BNotO). Sollen diese wichtigen und dem deutschen Notariatssystem immanenten Aspekte der sozialen Fürsorge nicht zulasten des Großteils der Rechtsuchenden geopfert werden, verbietet sich von vornherein ein einschränkungsloser Wettbewerb nach marktwirtschaftlichen Mechanismen zwischen den einzelnen Notaren als Träger eines öffentlichen Amtes. Die Folgen einer undifferenzierten, bis zur Unkenntlichkeit erfolgenden Deregulierung von Berufsgruppen, die wichtige regulatorische Funktionen wahrnehmen, lassen sich – das sei hier nur am Rande erwähnt – eindrucksvoll am Beispiel der Finanzkrise in den Jahren 2007/2008, in der Genese des „Enron“-Skandals im Jahr 2001 sowie jüngst in der Causa „Wirecard“ sehen.

Die Einführung eines Wettbewerbsgedankens in das Berufsbild würde ferner ganz grundsätzlich der Absicht des deutschen Gesetzgebers zuwiderlaufen, staatliche Aufgaben ausgelagert durch die Notare wahrnehmen zu lassen. Notare sind als unabhängige Träger eines öffentlichen Amts Teil der freiwilligen Gerichtsbarkeit und daher mit dem Richteramt vergleichbar.  Niemand käme schließlich auf den Gedanken, die Richter wettbewerbsfähiger machen zu wollen und dafür ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu riskieren.

Die Initiative der GD GROW widerspricht im Übrigen auch der ausdrücklichen Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, Notare von den vorbenannten Richtlinien auszunehmen, sowie der Rechtsprechung des EuGH, in der die öffentlichen Funktionen der Notare als zwingende Gründe des Allgemeinwohls auf Rechtfertigungsebene sowie die Regulierungshoheit der Mitgliedstaaten über den Notarberuf anerkannt sind.

Denn wie die Kommission selbst in der VP-RL und der Mitteilung über Reformempfehlungen für die Berufsreglementierung[8] aus dem Jahr 2017 ausführte, fällt die Regulierung reglementierter Berufe allein in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten. Sie allein haben das Recht zu entscheiden, ob es einen Bedarf gibt einzugreifen und welche Regeln und Beschränkungen in Bezug auf den Zugang zu einem Beruf gelten sollen, sofern die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Der EuGH hatte sich in der Vergangenheit bereits mit dem Notariat kontinentaleuropäischer Prägung in Deutschland befasst[9] und dabei festgestellt,

„dass der Umstand, dass mit den notariellen Tätigkeiten im Allgemeininteresse liegende Ziele verfolgt werden, die insbesondere dazu dienen, die Rechtmäßigkeit und die Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen zu gewährleisten, einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt, der etwaige Beschränkungen von Art. 49 AEUV rechtfertigen kann, die sich aus den Besonderheiten der notariellen Tätigkeit ergeben, wie etwa den für die Notare aufgrund der Verfahren zu ihrer Bestellung geltenden Vorgaben, der Beschränkung ihrer Zahl und ihrer örtlichen Zuständigkeit oder auch der Regelung ihrer Bezüge, ihrer Unabhängigkeit, der Unvereinbarkeit von Ämtern und ihrer Unversetzbarkeit …“.

Der EuGH hat damit die wesentlichen Züge des deutschen Notariats als Teil der Justiz bestätigt.

Wir sehen daher bereits in dem Ansinnen, die Ausgestaltung des deutschen Notaramtes durch die Kommission im Rahmen der Initiative überprüfen zu wollen, einen Eingriff in die mitgliedstaatliche Regelungskompetenz.

 

  1. Ferner besteht kein Bedarf dafür, im Rahmen der Initiative anzustreben, den Beruf des Notars in Deutschland „anpassungsfähiger“ zu machen.

Der Aufgabenbereich des Notars ist gesetzlich festgelegt, weil es öffentliche Aufgaben sind, die der Notar wahrnimmt. Der Notar als Amtsträger soll und darf seine Aufgaben daher gar nicht im Sinne der europäischen Initiative „anpassen“. Er darf nicht gleichzeitig Inhaber eines anderen besoldeten Amtes sein, er darf keinen weiteren Beruf ausüben und selbst für eine Nebenbeschäftigung bedarf er einer Genehmigung der Aufsichtsbehörde.[10]

 

  1. Schließlich bedarf es auch keiner Initiative, um durch Reformempfehlungen Deutschland zu helfen, das Notariat „innovationsfreundlicher“ zu machen.

Unter Zugrundelegung des Grünbuchs zur Innovation aus dem Jahre 1995[11] bedeutet Innovation

„die Umstellung und Ausweitung des Produkt- und Dienstleistungsangebots und der entsprechenden Märkte, die Umstellung der Produktions-, Zulieferungs- und Vertriebsmethoden, die Einführung von Änderungen im Management, in der Arbeitsorganisation sowie bei den Arbeitsbedingungen und Qualifikationen der Arbeitnehmer“. 

Auch hierin sehen wir einen unzulässigen Eingriff in die mitgliedstaatliche Regelungskompetenz, sollte im Rahmen der Initiative der Kommission angestrebt werde, das Amt des Notars umzustellen und auszuweiten, da es allein der hoheitlichen Entscheidung der Bundesrepublik obliegt, wie sie ihre Justiz organisiert und welche Aufgaben aus dem Bereich der Justiz sie den Notaren zuweist.

 

Ein solcher Eingriff in ein hoheitliches, gut funktionierendes System der vorsorgenden Rechtspflege widerspräche mithin nicht nur dem Kompetenzgefüge zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, sondern, wie aufgezeigt, auch der ausdrücklichen Entscheidung des EU-Gesetzgebers und der Rechtsprechung des EuGH. Die GD GROW sollte daher ihre Initiative zur Aufnahme der Notare in die Reformempfehlungen für die Berufs(de)reglementierung und die Aufnahme in den europäischen Regulierungsindex einstellen.

 

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Fußnoten:

[1] Im Folgenden zusammengefasst als „Notar“ bezeichnet.

[2] § 1 BNotO: Als unabhängige Träger eines öffentlichen Amtes werden für die Beurkundung von Rechtsvorgängen und anderen Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege in den Ländern Notare bestellt.

[3] Vgl. BVerfG NJW 2012, 2639.

[4] Vgl. BVerfGE 7,377.

[5] Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (Berufsqualifikationsrichtlinie).

[6] Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Dienstleistungsrichtlinie).

[7] Richtlinie (EU) 2018/958 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen.

[8] Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Reformempfehlungen für die Berufsreglementierung v. 10.1.2017, COM(2016) 820 final.

[9] EuGH, Urteil v. 9.3.2017, Rs. C-342/15, Rn. 60.

[10] Vgl. § 8 BNotO.

[11] Green Paper on Innovation v. 20.12.1995, COM(95) 688 final.

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