Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (KOM(2011) 794 endg.)

Stellungnahme vom 17.02.2012

 

Der Deutsche Notarverein dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Verordnungsvorschlag.

 

1.      Ermächtigungsgrundlage

 

Wir teilen die Bedenken des Deutschen Bundesrats, der eine berechtigte Subsidiaritätsrüge gegen die Vorschläge zur Änderung der Richtlinie 2009/22/EG erhoben hat. Die Ermächtigungsgrundlage des Art. 114 AEUV deckt allenfalls eine lediglich für grenzübergreifende Verträge geltende Regelung.

 

2.      Irreführende Bezeichnung

 

Der Titel des Verordnungsvorschlags ist irreführend, ebenso etwa Erwägungsgründe (6) – (8) (präziser dagegen Erwägungsgrund (14)). Der Leser (insbesondere auch der Verbraucher) meint, hier würde eine Online-Plattform für eine Schlichtungs- und Schiedsstelle angeboten. Das ist jedoch nicht der Fall. Angeboten wird nur eine Beschwerdesammelstelle, die die von ihr gespeicherten Daten dann an eine Schlichtungsstelle weiterleitet, auf die sich die Parteien geeinigt haben.

 

Der Sinn der Europäischen Plattform liegt aus unserer Sicht vor allem in Art. 13 des Verordnungsvorschlags, der Information des Verbrauchers über die Kontaktdaten seines Vertragspartners. Es fehlt allerdings eine Sanktion für falsche oder irreführende Informationen.

 

Der Verordnungsvorschlag könnte etwa wie folgt überschrieben werden:

 

„Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Informationsplattform zu Streitigkeiten aus grenzübergreifenden Verbraucherverträgen“

 

3.      Einigung auf AS-Stelle als Voraussetzung

 

a)      Einigung liegt vor

 

Haben sich die Parteien bereits bei Vertragsschluss auf eine AS-Stelle geeinigt, erscheint es zielführender, die Beschwerde unmittelbar an diese Stelle zu richten. Der Weg von einer Europäischen Plattform zu einer OS-Kontaktstelle mit OS-Mittlern hin zu einer AS-Stelle erscheint hier etwas gekünstelt.

 

b)      Einigung liegt nicht vor

 

Haben sich die Parteien eines grenzübergreifenden Vertrags nicht schon bei Vertragsschluss auf eine AS-Stelle geeinigt, erscheint mehr als fraglich, ob sie dies nach Entstehen der Streitigkeit tun werden. Hier kommt es auf die Art der Streitigkeit und die durch die Wahl des Gerichtsstands erzielbaren Arbitragegewinne an.

 

Beispiel:

 

Verbraucher A in Rumänien hat bei der irischen Firma B Ware bestellt und über Paypal bezahlt. Die Ware kommt durch den Transport beschädigt an. B bestreitet den Transportschaden. Daraufhin will A den Vertrag rückgängig machen und sein Geld zurück. Eine Einigung über eine AS-Stelle ist nicht getroffen.

 

International zuständig sind hier irische Gerichte. Schon dieser Umstand verschafft B erhebliche Vorteile. Demgegenüber fällt die Rufschädigung durch einen unzufriedenen Kunden in Rumänien nicht ins Gewicht. Wieso sollte sich B auf eine AS-Stelle einlassen? Die Zutrittsschwelle ist so hoch, dass B wohl davon kommen wird.

 

Variante:

 

Der Kaufpreis ist noch nicht bezahlt, da die Überweisung mit Paypal (wie so oft) nicht funktioniert hat. Trotzdem wurde die Ware geliefert. Jetzt zahlt A nicht und behauptet, die Ware sei mangelhaft.

 

In diesem Fall sind rumänische Gerichte zuständig. Damit ist A in einer sehr günstigen Ausgangssituation. Wieso sollte sich A auf eine AS-Stelle einlassen? Hier ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass B den Verlust einstecken und nichts unternehmen wird.

 

An dieser prozessualen Situation wird auch die Einlegung der Beschwerde bei der Europäischen Plattform nichts ändern. Anders wäre es möglicherweise aber dann, wenn die Plattform als eine Art „Internet-Pranger“ gedacht wäre und so gehandhabt würde. Dafür spricht, dass Vertraulichkeitsvorschriften nur für den OS-Mittler und die AS-Stellen gelten (Art. 12 Abs. 1 des Verordnungsvorschlags). Bei der Europäischen Plattform selbst bezieht sich die Sicherheit nur auf die technische Sicherheitsarchitektur, nicht auf den Daten- und Persönlichkeitsschutz (Art. 12 Abs. 2 des Verordnungsvorschlags).

 

Im Umkehrschluss könnte man das so verstehen, dass Daten über Beschwerden nicht vertraulich wären. Ein „naming and shaming“ von Personen im Netz (beide Seiten könnten so bloßgestellt werden), wäre aber ein Verstoß gegen die Menschenwürde.

 

c)      Alternativvorschlag

 

Alternative Streitbeilegung für grenzübergreifende Verbraucherverträge lässt sich einfacher haben, nämlich durch Rückgriff auf die prozessrechtliche Besserstellung von personae miserabiles im Gemeinen Recht des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Damals hat man für Klagen von diesen Personen einfach den (meist kirchlichen) Gerichtsstand an ihrem Wohnsitz und nicht an dem des Beklagten bestimmt. Damit hatten sich zugleich die Sprachprobleme und das Problem der rational apathy des potenziellen Klägers erledigt.

 

Gleichfalls erledigt hätten sich dann die Fragen der „Niederlassung“ eines Unternehmens (Satzungs- und Verwaltungssitz, Sitz der Niederlassung) nach Art. 4 lit. (f) des Verordnungsvorschlags.

 

Auf heutige Verhältnisse übertragen, könnte etwa Folgendes vorgesehen werden:

 

Haben sich die Parteien nicht auf eine AS-Stelle geeinigt, so darf der Kläger das Land, in dem die alternative Streitbeilegung stattfinden soll, und die Verfahrenssprache wählen, sofern die Vertragssprache nicht die des Wohnorts des Verbrauchers ist. Die Stelle selbst darf sich dann der Beklagte binnen einer Frist von z. B. zwei Wochen aussuchen, nachdem ihm die Beschwerde über die Europäische Plattform durch Weiterleitung an die dort hinterlegte E-Mail-Adresse zugegangen ist. Das AS-Verfahren selbst hat im Bezirk des für den Wohnsitz des Klägers zuständigen Gerichts höherer Instanz (z. B. OLG) stattzufinden.

 

Das Recht des Klägers, stattdessen den Rechtsweg zu beschreiten, bleibt unberührt.
Mit dieser Lösung wäre zugleich auch die entscheidende Frage erledigt, wie im Verbrauchervertrag wirksam eine AS-Stelle vereinbart wird. Jedenfalls wenn deren Entscheidung bindend ist, werden nämlich sonst die Regelungen des jeweiligen Zivilprozessrechts über die Vereinbarung von Schiedsgerichten bei Verbraucherverträgen anwendbar sein, in Deutschland also die §§ 1029, 1031 Abs. 5 ZPO i. V. m. § 126a BGB. Dieses bewährte Regelungsmodell sollte nicht angetastet werden.

 

Erledigt hätte sich auch die in Art. 13 Abs. 2 letzter Halbsatz vorgesehene Pflicht des Unternehmers, darüber zu informieren, dass er sich keinem AS-Verfahren unterwerfen wird. Das ist überflüssiger Bürokratismus.

 

4.      Kosten

 

Nach Art. 5 Abs. 2 des Verordnungsvorschlags ist die Nutzung der Europäischen Plattform kostenfrei. Das ändert jedoch nichts daran, dass ihre Einrichtung und ihr Betrieb etwas kostet. Zum einen fallen Kosten für die IT-Infrastruktur an (insbesondere für die erforderliche IT-Sicherheitsarchitektur). Hinzu kommen Kosten für die Pflege der nach Art. 6 des Verordnungsvorschlags erforderlichen Datenbank (die Schreibfehler in der deutschen Sprachfassung in Art. 6 Abs. 2 (nicht auf Anfang zurückgesetzte Buchstabennummerierung und „Parteien“ in lit. j) wären im Übrigen noch zu korrigieren). Gegen eine Übernahme der Kosten durch den EU-Haushalt (und damit durch den EU-Steuerzahler) spricht vor allem folgender Gesichtspunkt:

 

Wie sich insbesondere aus Art. 8 des Verordnungsvorschlags ergibt, beschränkt sich die Europäische Plattform nicht auf eine automatisierte Beschwerdeübermittlung, sondern nimmt eine inhaltliche Prüfung und Bewertung vor, und dies, bevor dem Beschwerdegegner rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ohne eine solche inhaltliche Bewertung vorab wäre z. B. eine Angabe zur „ungefähren Dauer des Verfahrens“ (Art. 8 Abs. 3 lit. c) des Verordnungsvorschlags) nicht möglich. Die Erarbeitung der nach Art. 8 Abs. 2 und 3 des Verordnungsvorschlags vorgesehenen Zusatzinformationen erfordert den Einsatz qualifizierten juristischen Personals. Darüber hinaus ist eine solche Vorabprüfung unter Menschenrechtsgesichtspunkten (Grundrecht auf faires Verfahren) höchst problematisch. Wie lange ein Verfahren dauert, hängt nämlich nicht nur von der momentanen Arbeitsbelastung der AS-Stelle ab, sondern neben der Mentalität der Parteien auch vom Verfahrensgegenstand, insbesondere davon, welche Punkte überhaupt streitig sind. Das weiß man aber erst, wenn die andere Seite Stellung genommen hat. Davor handelt es sich um eine Vorverurteilung.

 

Bei dieser rechtsstaatlich bedenklichen Gestaltung spricht sich der Deutsche Notarverein gegen das Projekt aus, solange seine Finanzierung aus Haushaltsmitteln erfolgt.

 

Soweit auch das Verfahren vor der AS-Stelle selbst kostenfrei sein sollte, erschiene dies erst recht bedenklich. Es ist nicht Aufgabe des Staates, eine kostenfreie Bühne für querulatorische Streitigkeiten zu liefern. Soweit die Unternehmen oder die Verbände der Wirtschaft diese finanzieren sollen, begründet dies Zweifel an der Unabhängigkeit der AS-Stelle. Darüber hinaus würden diese Kosten in die Verbraucherpreise Eingang finden. Für die gesamte Alternative Streitbeilegung gilt daher die ökonomische Binsenweisheit:„There is no such thing as a free lunch.“

 

5.      Vertragliche Streitigkeit

 

Nach Art. 2 des Verordnungsvorschlags sind nur „vertragliche Streitigkeiten“ zwischen Verbrauchern und Unternehmern erfasst. Mit Blick auf das GEK wäre ein Gleichlauf empfehlenswert (auch Streitigkeiten über vorvertragliche Pflichten, evtl. Streitigkeiten zwischen großen Unternehmen und KMU, soweit das GEK hierauf anwendbar sein sollte).

 

Wie werden deliktische Ansprüche behandelt, also wenn etwa durch fehlerhafte Ware Angehörige des Verbrauchers Schäden erlitten haben? Gleiches gilt für die sog. Schwimmschalterfälle, bei denen die Abgrenzung zwischen Vertrags- und Deliktsrecht je nach Rechtsordnung unterschiedlich ausfallen kann.

 

Hier wäre die Aufnahme einer Definition von „vertraglicher Streitigkeit“ in den Katalog des Art. 4 sinnvoll.

 

Für weitere Fragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.

 

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