Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung von Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in diesem Bereich

Stellungnahme vom 31.10.2006

 

Der Deutsche Notarverein e.V. dankt für die Übersendung des vorgenannten Entwurfes und die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit der Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 sollen im Bereich des Scheidungsverfahrens europaweit einheitliche Kollisions- und Zuständigkeitsregeln geschaffen werden. Dabei möchte der europäische Gesetzgeber die Eigenverantwortung der Bürger stärken und einen weiten Spielraum für die privatautonome Gestaltung einräumen. So sollen in Zukunft Vereinbarungen zwischen Ehegatten sowohl zum zuständigen Gericht in Scheidungssachen (Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 3a) als auch zum anwendbaren Recht (Rechtswahl nach Artikel 20a) möglich sein.

Grundsätzlich begrüßt es der Deutsche Notarverein, wenn die Möglichkeiten vertragsautonomer Gestaltung gestärkt werden. In einem zusammenwachsenden Europa gibt es zunehmend gemischtnationale Ehen. Die damit verbundenen vielgestaltigen Lebensverhältnisse lassen sich häufig durch Parteivereinbarungen besser regeln als durch starre objektive Anknüpfungen, die im Einzelfall für die Beteiligten zu durchaus überraschenden Ergebnissen führen können. So wird in der notariellen Praxis von Rechtswahlmöglichkeiten des nationalen Kollisionsrechts bereits heute reger Gebrauch gemacht.

Die nachfolgenden Anmerkungen beziehen sich auf die konkrete Ausgestaltung der europa­rechtlichen Regelung. Hier ist darauf zu achten, dass die neuen Vorschriften mit dem na­tionalen System von Kollisionsnormen harmonieren (1.) Weiter sollte sichergestellt werden, dass Ehegatten sich der Tragweite und rechtlichen Auswirkungen ihrer Entscheidungen bewusst sind (2.).

1. Verhältnis zum nationalen Kollisionsrecht

Der sachliche Anwendungsbereich der neu zu schaffenden Regelungen bezieht sich auf die „Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes“, also im Wesentlichen auf die im nationalen Recht in Art. 17 EGBGB geregelten Gegenstände. Vom sachlichen Anwendungsbereich nicht mit umfasst sind dagegen das Güterrecht (Art. 15 EGBGB), die allgemeinen Ehewirkungen (Art. 14 EGBGB) und das Unterhaltsrecht (Art. 18 EGBGB).

Aus Sicht des deutschen Rechts sind Rechtswahlmöglichkeiten im nationalen Ehekollisionsrecht kein Novum. Die entsprechenden Regelungen finden sich in Art. 14 Abs. 2 und 3 sowie Art. 15 Abs. 2 EGBGB. Obwohl das Scheidungsstatut isoliert keiner Rechtswahl unterliegt, sorgt der in Art. 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB enthaltene Verweis auf die Grundnorm des Art. 14 dafür, dass die für die allgemeinen Ehewirkungen getroffene Rechtswahl zumindest mittelbar auch das Scheidungsstatut bestimmt.

Aus dem deutschen Ehekollisionsrecht der Art. 14 ff. EGBGB lässt sich außerdem die Wertung des nationalen Gesetzgebers entnehmen, dass sämtliche Fragen des Eherechts möglichst einem einheitlichen Statut unterstehen sollen. Aus diesem Grund verweisen die einzelnen Kollisionsnormen jeweils auf die Grundnorm des Art. 14 EGBGB. Dieses gesetzgeberische Konzept ist sinnvoll, denn ein einheitliches Ehestatut sorgt erstens für Berechenbarkeit beim Bürger und zweitens für eine leichtere Rechtsanwendung durch die Gerichte. Friktionen, die durch die Kombination verschiedener Rechtsordnungen entstehen, werden weitgehend vermieden.

Aus deutscher Sicht sollten sich daher die vorgeschlagenen Regelungen für ein einheitliches europäisches Scheidungskollisionsrecht daran messen lassen, ob sie mit den verbleibenden nationalen Kollisionsnormen im Eherecht harmonieren oder sich zumindest (durch vertragsautonome Gestaltung) harmonisieren lassen.

Diesbezüglich wirft der bisherige Verordnungstext einige Fragen auf, von denen einige redaktioneller oder übersetzungstechnischer Natur, andere auch inhaltlicher Art sind.

a) Zum Zeitpunkt der Rechtswahl/Gerichtsstandsvereinbarung

Die deutschen Formulierungen in Art. 3a und 20a des Verordnungsentwurfes legen nahe, dass privatautonome Vereinbarungen nur in engem zeitlichen Zusammenhang mit einem Scheidungs- oder Trennungsverfahren getroffen werden können.

Art. 3a Abs. 1 regelt, dass Ehegatten, „die die Ehescheidung oder Trennung (…) beantragen möchten“, eine Gerichtsstandsvereinbarung treffen können. Ist damit eine konkrete Scheidungsabsicht Voraussetzung für eine Gerichtsstandsvereinbarung oder kann der Gerichtsstand auch bereits vor oder kurz nach Beginn der Ehe in einem Ehevertrag gewählt werden?

Art. 20a Abs. 1 formuliert, dass Ehegatten „bei“ Ehescheidung das anwendbare Recht bestimmen können. Auch hier ist unklar, ob diese Formulierung eine zeitliche Verknüpfung der Rechtswahl mit einem Scheidungsverfahren voraussetzt.

Möglicherweise handelt es sich hier nur um Ungenauigkeiten der Übersetzung, denn privatautonome Vereinbarungen sollten in jedem Fall zeitlich unabhängig und ggf. auch weit vor einem Scheidungsverfahren getroffen werden können. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass Vereinbarungen im Streitfall häufig nicht mehr möglich sind. Außerdem wäre es fatal, wenn Vereinbarungen nach Art. 14 und 15 EGBGB, die regelmäßig zu Beginn der Ehe getroffen werden, nicht mit einer ergänzenden Regelung zur Scheidung verknüpft werden könnten. Der anzustrebende Gleichlauf der unterschiedlichen eherechtlichen Statute wäre gefährdet.

Daher folgende Formulierungsvorschläge:

Art. 3a Abs. 1:

„1. Ehegatten können einvernehmlich festlegen, dass ein Gericht oder die Gerichte eines bestimmten Mitgliedstaates für das Scheidungsverfahren oder das Verfahren zur Trennung ohne Auflösung des Ehebandes zuständig sind, sofern ein enger Bezug zu diesem Mitgliedstaat gegeben ist. Dies ist dann der Fall, wenn (…)“

Art. 20a Abs. 1:

„Ehegatten können einvernehmlich das auf die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anwendbare Recht bestimmen“

Wir gehen schließlich davon aus, dass Rechtswahl- oder Gerichtsstands­vereinbarungen auch schon vor der Eheschließung getroffen werden können, auch wenn in den Vorschriften (wie im deutschen Recht) jeweils von „Ehegatten“ die Rede ist. Ihre Wirkungen würden die Vereinbarungen dann erst nach einer Eheschließung entfalten (vgl. insoweit zum deutschen Recht: Palandt-Heldrich, 65. Auflage 2006, Art. 14 EGBGB, Rz. 11).

Zum Katalog der wählbaren Rechtsordnungen nach Art. 20a Abs. 1

Art. 20a Abs. 1 enthält einen Katalog der von den Ehegatten wählbaren Rechten. Die Regelungstechnik entspricht dem deutschen Recht, dass in den Art. 14 und 15 EGBGB ebenfalls nur die Wahl bestimmter Rechtsordnungen zulässt.

Hier sollte sichergestellt sein, dass Art. 20a Abs. 1 zumindest auch diejenigen Wahlmöglichkeiten enthält, die das deutsche Recht in den Art. 14 und 15 EGBGB zur Verfügung stellt, da nur so in der Praxis ein Gleichlauf der unterschiedlichen eherechtlichen Statute bewirkt werden kann.

Zumindest die deutsche Textfassung von Art. 20a Abs. 1 (b) steht einem solchen Gleichlauf jedoch entgegen.

Ein Beispiel: Ein Deutscher und eine Österreicherin sind verheiratet und arbeiten seit mehreren Jahren in Brüssel bei der Kommission. Beide haben Immobilienvermögen im nahen Deutschland und fühlen sich auch sonst Deutschland am engsten verbunden. Nach deutschem Recht können sie für die allgemeinen Ehewirkungen und das Güterrecht deutsches Recht wählen (Art. 14 Abs. 3 S. 1 EGBGB und Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB). Art. 20a Abs. 1 lässt diese Wahl jedoch für das Scheidungsrecht nicht zu, da nach Art. 20a Abs. 1 (b) nur das Recht desjenigen Staates gewählt werden kann dem „beide Ehegatten“ angehören.

Möglicherweise ist dies auch lediglich ein Übersetzungsfehler, auf den im weiteren Gesetzgebungsverfahren hinzuweisen wäre (dies legt zumindest die französische Fassung nahe).

In Art. 20a Abs. 1 (c) ist unklar, ob es auf einen „gemeinsamen“ gewöhnlichen Aufenthalt ankommen soll oder nicht.

Schließlich dürfte zweifelhaft sein, ob die Rechtswahlmöglichkeit nach Art. 20a Abs. 1 (d) (= Wahl derjenigen Rechtsordnung, in der der Scheidungsantrag gestellt wird) einen sinnvollen Anwendungsbereich hat. Eine darauf gestützte Rechtswahl würde nur in Verbindung mit einer gleichzeitigen Gerichtsstandsvereinbarung zu Rechtssicherheit für die Parteien führen; eine verpflichtende Verknüpfung von Gerichtsstandsvereinbarung und Rechtswahl nach Art. 20a Abs. 1 (d) ist jedoch nicht vorgesehen. Außerdem müsste sich ein Gleichlauf von Gerichtsstand und anwendbarem Recht in den allermeisten Fällen auch über eine Rechtswahl nach Art. 20a Abs. 1 (a) bis (c) herstellen lassen können.

c) Zur objektiven Anknüpfung in Art. 20b, insbesondere zum Wettlauf zu den Gerichten („Forum-Shopping“)

Ein ausdrückliches Ziel des europäischen Gesetzgebers ist es, den „Wettlauf zu den Gerichten“ zu verhindern. Diesem Ziel steht die letzte Stufe der objektiven Anknüpfungsleiter in Art. 20b entgegen, die in (d) das Recht desjenigen Landes für anwendbar erklärt, „in dem der Antrag gestellt wird“. Hier erscheint die deutsche Regelung des Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB überlegen, die auf der letzten Stufe nach der „engsten Verbindung“ fragt.

Die deutsche Übersetzung des Art. 20b scheint außerdem missverständlich zu sein, denn es soll offenbar nicht das auf das „Verfahren“ anwendbare Recht bestimmt werden (das richtet sich selbstverständlich nach der lex fori, in Deutschland etwa nach der ZPO), sondern das anwendbare materielle Scheidungsrecht. Die Formulierung sollte entsprechend geändert werden.

2. Zur Form der Gerichtsstandsvereinbarung und der Rechtswahl

In der Begründung des Verordnungstextes wird ausdrücklich klargestellt, dass sich die Ehegatten der Tragweite ihrer Entscheidungen bewusst sein müssen. Dazu sei die „Einhaltung bestimmter Formalien“ erforderlich. Damit erkennt der europäische Gesetzgeber an, dass Formvorschriften bei der privatautonomen Willensbildung nicht hinderlich sind, sondern diese vielfach erst ermöglichen, nämlich indem über die einzuhaltende Form bei den Vertragsparteien ein Bewusstsein für den Inhalt und die Reichweite der einzugehenden rechtlichen Bindung geschaffen wird. Will der Gesetzgeber daher die Eigenverantwortung der Bürger stärken, muss er sie auch in die Lage versetzen, ihre Freiheitsrechte verantwortungsbewusst auszuüben. Der deutsche Verfassungsrichter Prof. Dr. Udo di Fabio hat diese freiheitswahrende und die privatautonome Willensbildung stärkende Rolle von Formvorschriften kürzlich in einem „Form und Freiheit“ überschriebenen Aufsatz treffend dargestellt (DNotZ 2006, S. 342).

Die Europäische Kommission ist offenbar der Auffassung, dass im Hinblick auf Gerichtsstandsvereinbarungen und Rechtswahlklauseln die Schriftform ausreicht, um den Ehegatten die Tragweite ihrer Entscheidungen vor Augen zu führen (vgl. jeweils die 2. Absätze in Art. 3a und Art. 20a). Dies ist mehr als zweifelhaft, denn eine fundierte Entscheidung für einen bestimmten Gerichtsstand und noch viel mehr die Entscheidung für eine bestimmte anwendbare Rechtsordnung setzt rechtliche Vorkenntnisse voraus, über die die meisten Ehegatten nicht verfügen. Ohne rechtliche Beratung werden die Ehegatten allenfalls eine Entscheidung „ins Blaue“ hinein treffen. Das bloße Schriftformerfordernis stellt eine rechtliche Beratung in keiner Weise sicher.

Weiter darf die Frage des auf die Scheidung anwendbaren Rechts (wie bereits oben ausgeführt) nicht isoliert von anderen eherechtlichen Fragestellungen (Güterrecht, allgemeine Ehewirkungen, Unterhaltsrecht etc.) betrachtet werden. Auch die damit verbundenen rechtlich komplexen Probleme dürften die allerwenigsten Ehegatten überblicken. Auch hier ist das Schriftformerfordernis nicht geeignet, für die erforderlichen Verknüpfungen zu sorgen.

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass privatautonome Weichenstellungen im Eherecht langfristige und möglicherweise tiefgreifende Folgen für die beteiligten Ehegatten haben können. Entsprechend unterliegen Vereinbarungen im Familien- und Eherecht in fast allen europäischen Rechtsordnungen engeren Schranken als etwa Vereinbarungen im Schuldrecht (dazu etwa rechtsvergleichend „From Status to Contract? – Die Bedeutung des Vertrages im europäischen Familienrecht“, Tagungsband des Symposiums für Europäisches Familienrecht in Regensburg, erschienen im Geiseking Verlag, Bielefeld). Auch der deutsche Gesetzgeber hat sich aus gutem Grund dafür entschieden, Eheverträge (§ 1410 BGB) und auch Rechts­wahlvereinbarungen im Ehekollisionsrecht (Art. 14 Abs. 4 und Art. 15 Abs. 3 EGBGB) der notariellen Form zu unterstellen, die eine Beratung, Belehrung und zuverlässige Vertragsgestaltung sicherstellt.

Der Deutsche Notarverein spricht sich daher entschieden dafür aus, auch auf europäischer Ebene über die bloße Schriftform hinauszugehen. Insofern kennt das europäische Recht allerdings selbst kein solches über die Schriftform hinausgehendes Formerfordernis, das eine rechtliche Beratung der Ehegatten gewährleisten würde. Die Bestimmung der erforderlichen Form sollte deshalb dem jeweiligen Mitgliedstaat überlassen bleiben, der damit auch die auf seinem Staatsgebiet bereits bestehenden Beratungsstrukturen nutzen kann.

Hinsichtlich einer möglichen Formulierung möchten wir uns dem Vorschlag der Bundesnotarkammer anschließen, die eine Regelung in Anlehnung an die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 über den Europäischen Vollstreckungstitel befürwortet. Danach müsste die Vereinbarung zu ihrer Wirksamkeit vor einem Gericht, einer Behörde oder einer anderen vom Mitgliedstaat hierzu ermächtigten Stelle getroffen werden.

 

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