10. Berufspolitische Tagung in Düsseldorf

Agenda 2020 im Notariat

Am 13. und 14. Januar 2017 fand in Düsseldorf die nunmehr zehnte berufspolitische Tagung des Deutschen Notarvereins statt. Intensiv wurden zunächst die Auswirkungen der Digitalisierung auf den notariellen Berufsstand und die notarielle Tätigkeit diskutiert. Anschließend widmete sich die Tagung aktuellen Rechtsentwicklungen im Baurecht. Der nachfolgende Bericht gibt einen Überblick über die spannenden Beiträge der Referenten sowie die lebhaften und anregenden Diskussionen im Teilnehmerkreis.

I. Eröffnung der Tagung

Industrie-Club in Düsseldorf (©Deutscher Notarverein)

Alle zwei Jahre lädt der Deutsche Notarverein berufspolitisch engagierte Kolleginnen und Kollegen, Vertreter aus Justiz und Wissenschaft sowie Gäste ausländischer Notariatsorganisationen zu einer Tagung Berufspolitik. Auch in diesem Jahr waren der Einladung wieder 90 Personen gefolgt, um unter der Überschrift „Agenda 2020 im Notariat“ über anstehende Herausforderungen zu diskutieren. Mit dem traditionsreichen Düsseldorfer Industrie-Club hatte der Deutsche Notarverein einen ansprechenden Tagungsort mitten in der Düsseldorfer Innenstadt ausgewählt.Präsident Dr. Oliver Vossius begrüßte zunächst die Teilnehmer. Die digitale Revolution sei verantwortlich für einen beschleunigten gesellschaftlichen Wandel, der auch vor dem Notariat nicht haltmache. Welche Bedeutung die Digitalisierung genau habe, solle die Tagung ausloten. Dabei wolle man von verschiedenen Experten aus dem In- und Ausland profitieren, die sich dem Wandel bereits gestellt und neue Lösungen ausprobiert haben. Vor dem Hintergrund von „fake news“ und „alternativen Fakten“, sei es außerdem erforderlich, sich auch mit den sozialen Medien zu befassen.

Karl-Heinz Krems, Staatssekretär des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen, würdigte in seinem Grußwort die Arbeit der Notare. (©Deutscher Notarverein)

Anschließend sprach Karl-Heinz Krems. Er stellte die Bedeutung der Notarinnen und Notare für das Gesamtsystem der Justiz in Deutschland heraus. Beim elektronischen Rechtsverkehr hätten die Notare eine Vorreiterrolle gespielt. Für die Pionierarbeiten, die beim Handelsregister geleistet worden seien, bedankte er sich ausdrücklich. Krems bezeichnete den kontinuierlichen Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs als Mammutaufgabe, der alle Geschäftsabläufe in der Justiz betreffe und verändern werde. Ziel sei letztlich die elektronische Akte und damit verbunden auch eine Vereinfachung und Beschleunigung der Arbeitsabläufe, allerdings ohne gleichzeitig den Wunsch nach Sicherheit zu vernachlässigen. Das Projekt „elektronisches Urkundenarchiv“ sehe er auf der Zielgeraden. Mit dem Urkundenarchiv werden auf lange Sicht die Notare und die Länder entlastet werden. Der Staatssekretär begrüßte auch, dass sich die Tagung mit den sozialen Medien beschäftigen werde. Das Justizministerium NRW sei auch bereits auf YouTube aktiv.

Thomas Geisel, Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf, begrüßt die Teilnehmer in der „Stadt der Juristen“. (©Deutscher Notarverein)

Zuletzt begrüßte noch Thomas Geisel, Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf, die Teilnehmer. Er schilderte Düsseldorf als „Stadt der Juristen“, in der es mit einem dynamischen Immobilienmarkt und einer wachsenden Bevölkerung und Wirtschaft auch für Notare viel zu beurkunden gebe. Besonders ausländische Unternehmen aus Fernost bevorzugen in Deutschland den Standort Düsseldorf mit seiner entsprechenden Infrastruktur. Geisel wünschte der Tagung gutes Gelingen.

II. Digitale Öffentlichheitsarbeit

Unter der Moderation von Notar Michael Uerlings aus Bonn ging es nun um „Digitale Öffentlichkeitsarbeit“. Uerlings, ehemaliges Mitglieder der Geschäftsführung der Bundesnotarkammer und aktuell Vorstandsmitglied und Pressesprecher der Rheinischen Notarkammer, führte zunächst in das Thema ein. Öffentlichkeitsarbeit – so Uerlings – sei ein besonders vielschichtiges Thema, bei dem sowohl die einzelnen Berufsträger als auch die Berufsorganisationen gefragt seien. Beim einzelnen Berufsträger sei außerdem das grundsätzliche Werbeverbot der Bundesnotarordnung zu beachten. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sei zudem wegen der (möglichen) Außenwirkung von einiger Brisanz. Über bisher relativ wenig Erfahrung verfüge der notarielle Berufsstand im Bereich der digitalen Öffentlichkeitsarbeit. Daher sei er neugierig auf die Berichte und Empfehlungen der Referenten.

Dr. Christian Sonnweber, Österreichische Notariatskammer, Uwe Hagemann, Deutscher Notarverlag, Notar Michael Uerlings, Bonn, Hon. Prof. Univ.-Doz. DDr. Ludwig Bittner, Präsident der Österreichischen Notariatskammer, Andrea Titz, Richterin am OLG München, Notar Dr. Oliver Vossius, München, Präsident des Deutschen Notarvereins (v. li. n. re.). (©Deutscher Notarverein)
1. Digitales Wissen und Marketing

Uwe Hagemann, Geschäftsführer des Deutschen Notarverlags, stellte die Digitalisierung der Verlagsbranche dar. Sowohl Verlage als auch Notare arbeiten mit Texten und stehen im Austausch mit Kunden bzw. Klienten zu diesen Texten. Möglicherweise lassen sich daher Erfahrungen, Methoden und technische Anwendungen aus der Verlagswelt in die notarielle Welt übertragen.

Uwe Hagemann, Geschäftsführer des Deutschen Notarverlags. (©Deutscher Notarverein)

Der Notarverlag, so Hagemann, stehe dabei als kleiner und erst neun Jahre alter Verlag ganz am Anfang der Entwicklung. Immerhin sei heutzutage jeder Inhalt digital vorhanden. Diese digitalen Inhalte können dann auf verschiedenen Wegen vermarktet werden, entweder klassisch als Buch oder auch digital als E-Book, App oder in juristischen Datenbanken (Juris, Beck-Online, DNotI).

Bei der Vermarktung bzw. der Öffentlichkeitsarbeit der Verlage sei ein Wandel erkennbar. Früher standen gedruckte Werbemittel im Vordergrund, die dem Buchhandel oder dem Endkunden zur Verfügung gestellt wurden. Ergänzt wurde das durch Telefonmarketing. Heutzutage kommt E-Mail-Marketing hinzu und eine besondere Herausforderung würden die sozialen Medien darstellen.

Die sozialen Medien böten dabei in einem besonderen Maße die Möglichkeit zu einer Zwei-Wege-Kommunikation. Klassischerweise sei immer nur eindimensional vom Anbieter zum Kunden kommuniziert worden, heutzutage sei man bestrebt, in eine symmetrische Kommunikation, in einen Dialog mit dem Kunden zu treten. Während es bei der asymmetrischen Ein-Weg-Kommunikation vor allem um Publicity für das Produkt verbunden mit Information für den Kunden gegangen sei, werde heute versucht, dem Kunden mehr zuzuhören und von dessen Feedbackbereitschaft zur Produktentwicklung zu profitieren. Gelinge ein echter Dialog mit dem Kunden, könne die Produktentwicklung gleichsam mit in die Hände der Zielgruppe gelegt werden.

Übertragen auf die notarielle Welt, könnten sich die Notare ebenfalls fragen, inwieweit sie stärker in einen Dialog mit ihren Klienten treten wollen. Hagemann war sich dabei der berufsrechtlichen Beschränkungen der einzelnen Notare durchaus bewusst. Möglicherweise könnten aber auch die Berufsverbände Pionierarbeit leisten. Der Deutsche Notarverlag, an dem der Deutsche Notarverein beteiligt ist, könne technologische Unterstützung und den weiteren Erfahrungsaustausch zur Digitalisierung anbieten.

 

2. Österrecht§icher – Facebook-Kampagne der österreichischen Kollegen

Wie die Notarinnen und Notare in Österreich sich in die sozialen Medien vorgewagt haben, stellte anschließend in einem spannenden Vortrag Dr. Christian Sonnweber, vor. Als Geschäftsführer der Österreichischen Notarkammer hat er die „Österrecht§icher“ genannte Social-Media-Kampagne (www.oesterrechtssicher.at) für den Rechtsstandort Österreich mitorganisiert.

Dr. Christian Sonnweber, Geschäftsführer der Notarkammer Österreich. (©Deutscher Notarverein)

Der Vorstoß auf unbekanntes Terrain war einer politischen Initiative in Österreich zur Abschaffung der notariellen Mitwirkung im GmbH-Recht geschuldet. Nachdem klassische Maßnahmen der Interessenvertretung über Kontakte in der Justiz, das Schreiben von Stellungnahmen und die übliche Öffentlichkeitsarbeit nicht funktionierten, habe man sich auf die sozialen Medien fokussiert, um Unterstützung aus der Öffentlichkeit zu erhalten. Der österreichische Berufsstand konnte dabei wesentliche Erkenntnis zum Umgang mit den neuen Medien gewinnen.

Zunächst einmal koste das Engagement in den sozialen Medien Geld und Zeit in Form von Personalaufwand. Außerdem hänge die Wirksamkeit davon ab, dass man eine möglichst hohe Reichweite  generiert. Das funktioniere nicht ad hoc, sondern bedürfe eines gewissen Vorlaufes, einer vorausschauenden Planung und einer flexiblen, entscheidungsfähigen und entscheidungsfreudigen Begleitung. Die Kommunikation in den sozialen Medien unterscheide sich zudem maßgeblich von einer klassischen Öffentlichkeitsarbeit, denn

  • die Erzeugung von Aufmerksamkeit sei vorrangig vor den Inhalten;
  • der Inhalt sei auf eine knappe Kernbotschaft zu reduzieren bzw. zuzuspitzen (im konkreten Fall das Thema „Rechtssicherheit“);
  • die potentiell inhaltlich/emotional Betroffenen müssen identifiziert und möglichst gezielt angesprochen werden;
  • plumpe Werbung für den Notar oder den Notarstand sei nicht zielführend; vielmehr müsse das „Produkt“ der notariellen Dienstleistung und die damit verbundenen Lösungen der persönlichen Probleme beworben werden; insofern müsse das Interesse des Konsumenten durch persönliche Betroffenheit geweckt werden;
  • man müsse in den sozialen Medien präsent bleiben, dranbleiben und seine „Follower“ immer wieder neu beliefern.

Die österreichischen Kollegen haben diesen Weg mutig beschritten und erste Erfolge erzielen können. Die einzelnen Berufsträger und ihre Mitarbeiter, aber auch Klienten der Notarinnen und Notare können mit ihren jeweiligen Kontakten in die sozialen Medien Reichweite generieren. Kampagnen in den sozialen Medien sollten daher nicht nur von den Berufsorganisationen ausgehen, sondern die Berufsangehörigen aktiv einbeziehen.

Ist man als Berufsorganisation erst einmal in den sozialen Medien präsent, kann die erarbeitete „Reichweite“ später auch für komplementäre Themen genutzt werden. So wurden die „Follower“ der Österrecht§icher-Kampagne kürzlich zum Beispiel mit Informationen zum Erbrecht beliefert.

 

3. Öffentlichkeitsarbeit in Justiz und Richterschaft

Brauchen Justiz und Richterschaft überhaupt eine Öffentlichkeitsarbeit? Andrea Titz, Richterin am OLG München beantwortete diese Frage in ihrem Referat mit einem klaren Ja. Titz wurde als Pressesprecherin des Gerichts während des NSU-Prozesses einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und konnte aus erster Hand von ihren Erfahrungen berichten.

Andrea Titz, Richterin am OLG München. (©Deutscher Notarverein)

Der Rechtsstaat, so Titz, sei auf Akzeptanz und Identifikation angewiesen. Das Funktionieren des Rechtsstaates setzt voraus, dass dieser und seine Institutionen im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger verankert sind. Dazu sollten die Arbeitsweisen und auch die Entscheidungen der Justiz aktiv erklärt und auch transparent gemacht werden. Dabei stehen die Justizorganisationen, wie Gerichte, Staatsanwaltschaften oder auch das Notariat jedoch vor der Herausforderung, besonders sperrige Themen sachlich richtig und trotzdem verständlich kommunizieren zu müssen. Und dies mit einem Personal, das zwar juristisch hochqualifiziert, in der Öffentlichkeitsarbeit jedoch wenig bzw. überhaupt nicht geschult sei.

In der Vergangenheit, so Titz, sei die Öffentlichkeitsarbeit der Justiz vor allem reaktiv gewesen. Nur im Einzelfall habe man sich in Reaktion auf ein öffentliches Interesse geäußert; meist mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Dies genüge heute nicht mehr. Vielmehr sei eine aktive, offensive und frühzeitige Kommunikation erforderlich, um die Deutungshoheit über Justizthemen zu behalten. Angesichts der enormen Beschleunigung der Kommunikation in den sozialen Medien, komme eine bloß reaktive Kommunikation heute meist zu spät. Die Polizei lerne hier derzeit am schnellsten und sei mittlerweile auch in den sozialen Medien präsent.

Die Öffentlichkeitsarbeit der Justiz stehe, so Titz, zudem in einem besonderen Spannungsverhältnis und müsse schwierige Abwägungsprozesse berücksichtigen. Auf der einen Seite stehe das Eigeninteresse der Justiz an einer sachlich korrekten Information der Bürgerinnen und Bürger und dem Erhalt der Deutungshoheit über Justizthemen. Auf der anderen Seite seien Persönlichkeitsrechte der konkret Betroffenen, Belange der Presse- und Rundfunkfreiheit sowie im Strafverfahren auch die Ermittlungsinteressen der Strafverfolgungsbehörden zu berücksichtigen. Vor allem von Seiten der Anwaltschaft gebe es daher immer wieder auch den Vorwurf, zu früh und zu viel zu kommunizieren.

Sorge bereite Titz die Kommunikation über Justizthemen in den sozialen Medien. Hier gebe es eine beunruhigende eher negative Grundstimmung gegen Justizbehörden. Auch eine verbale Verrohung bis hin zum Phänomen des Shit Storms gerade in Verfahren mit prominenten Beteiligten sei zu beobachten. Beleidigungen und Hasskommentare seien ebenfalls Ausdruck dieser Tendenz. Die Justiz habe gerade erst begonnen, die daraus resultierenden Herausforderungen anzunehmen.

Titz forderte daher:

  • eine aktive und frühzeitige Kommunikation der Justiz auch in den sozialen Medien,
  • aktive und transparente Informationen über die Justizverfahren,
  • eine Professionalisierung der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit und
  • die Aus- und Fortbildung sowie die zeitliche Freistellung geeigneter Pressesprecher.

Insgesamt wurde durch das Referat von Titz eindrucksvoll vor Augen geführt, dass sich die Akteure des Rechtsstaates gegenüber der Öffentlichkeit nicht verstecken dürfen. Dies gilt gerade in politisch turbulenten Zeiten, in denen selbsternannte Populisten unter Rückgriff auf den vermeintlichen Volkswillen demokratische und rechtsstaatliche Verfahren überflüssig erscheinen lassen wollen. Wenn etwa der neugewählte US-Präsident Donald Trump von „sogenannten Richtern“ spricht, ist meines Erachtens Widerspruch aus der Justiz von entscheidender Bedeutung. Demokratische Willensbildungsprozesse erfolgen nämlich nicht über Twitter, sie vollziehen sich innerhalb eines rechtsstaatlichen Rahmens. Nicht umsonst spricht das Grundgesetz vom „demokratischen Rechtsstaat“ und stellt damit die Rechtsstaatlichkeit gleichberechtigt neben das Demokratieprinzip.

 

4. Diskussion

In der anschließenden Diskussion, an der auf dem Podium der Präsident der Österreichischen Notarkammer, Professor DDr. Ludwig Bittner teilnahm, wurde zunächst erörtert, ob man als Notare den „Rubikon überschreiten“ und sich auf die sozialen Medien einlassen solle. Damit sei eine Emotionalisierung und Zuspitzung der Öffentlichkeitsarbeit unausweichlich, die die notariellen Berufsverbände bislang gescheut hätten. Von österreichischer Seite kam dazu die Empfehlung sich möglichst frühzeitig vorzubereiten. Wer erst im berufspolitischen Ernstfall anfange, sich den sozialen Medien zuzuwenden, verfüge dann weder über die notwendigen Erfahrungen noch über eine ausreichende Schlagkraft, um selbst Kampagnen fahren zu können. Im Einzelfall sei dann zu beurteilen, ob und wie auf Vorgänge in den sozialen Medien reagiert werden solle. So sei zum Beispiel bei einem Shit Storm sorgfältig abzuwägen, ob eine Reaktion überhaupt sinnvoll sei.

Sodann wurde in der Diskussion deutlich, dass sich mit dem Thema Social-Media vorrangig die Berufsorganisationen befassen sollten. Dem einzelnen Berufsträger fehlen die zeitlichen und organisatorischen Kapazitäten, z. B. ein Twitter-, Facebook-, Instagramprofil gleichzeitig pflegen zu können. Die Bausteine für die Kommunikation über die sozialen Medien sollten daher von den Berufsorganisationen erstellt werden. Die Notarinnen und Notare vor Ort könnten diese Bausteine dann in ihre lokale Öffentlichkeitsarbeit einbauen. So könnten z. B: Informationsvideos zu notarspezifischen Themen über die einzelnen Homepages der Berufsträger zugänglich gemacht werden. Kommen die Bausteine der Öffentlichkeitsarbeit von den Berufsorganisationen, kommen die Notarinnen und Notare auch nicht in Konflikt mit dem berufsrechtlichen Werbeverbot.

 

III. Automatisierte (notarielle) Arbeit

„Tomorrow belongs to those who hear it coming“, zitierte Dr. Joachim Püls, Präsident der Notarkammer Sachsen, den kürzlich verstorbenen Sänger David Bowie, der Zeit seines Künstlerlebens die Avantgarde verkörperte. Inwieweit die Notare dem Puls der Zeit zu folgen vermögen, war die Fragestellung, die unter dem Titel „Automatisierte (notarielle) Arbeit“ diskutiert werden sollte. Nicht die Außendarstellung und Öffentlichkeitsarbeit stand im Fokus, sondern die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Tätigkeit der Notarinnen und Notare.

Torsten Rienaß, procilon, Leipzig, Notar Jens Kirchner, München, Notar Dr. Joachim Püls, Präsident der Notarkammer Sachsen, Notarassessor Dr. Johannes Hushahn, BNotK, Stefan Schmittner, Westernacher Solution Stuttgart (v. li. n. re.). (©Deutscher Notarverein)
1. Vertragsgestaltung und künstliche Intelligenz

Den ersten Impuls dazu gab Stefan Schmittner, Westernacher Solution Stuttgart.[1] Er schilderte zunächst den gigantischen Zuwachs an Rechnerleistung in den letzten zwanzig Jahren. Bereits 1997 habe der erste Rechner einen Schachweltmeister besiegt. Und 2011 war die Rechnerkapazität bereits so gestiegen, dass der Computer in der Quizsendung Jeopardy gegen die bisher besten Champions die Oberhand behalten konnte. 2016 schließlich gelang einem Google-Computer im hochkomplexen traditionellen asiatischen Go-Spiel der Sieg gegen den weltbesten menschlichen Spieler.

Stefan Schmittner, Westernacher Solution Stuttgart. (©Deutscher Notarverein)

Worum geht es nun, wenn über künstliche Intelligenz (KI) gesprochen wird? Ziel der Entwicklung einer KI sei es, möglichst selbstlernende Systeme zu etablieren. Schmittner sprach in diesem Zusammenhang von künstlichen neuronalen Netzen. Herkömmliche Expertensysteme funktionieren dagegen nach dem Schema „wenn…dann…“. Per Algorithmus würden der Maschine bestimmte Befehle erteilt. Alles, was derzeit an Notariatssoftware verwendet werde, funktioniere nach diesem Modell: Wir geben Daten in ein Verarbeitungssystem hinein. Im System selbst laufen dann vorab programmierte Verarbeitungsschritte ab und am Ende steht ein Ergebnis. Die entscheidenden Weichen in solchen Expertensystemen werden von Menschen gestellt, nämlich von denjenigen, die definieren, welche Daten relevant sind, und denjenigen, die den Algorithmus und damit die Verarbeitungsschritte programmieren.

Künstliche neuronale Netze würden darüber hinausgehen. Bildlich gesprochen gehe es hier eher um Mustererkennung. Bestimmte Ausgangsmuster (zum Beispiel Lebenssachverhalte) sollen erkannt und in ein Ergebnismuster (zum Beispiel einen Vertragstext oder eine Vertragsklausel) überführt werden. Künstliche neuronale Netze „lernen“ durch ständige Anwendung. Hier werden die Weichen zunächst ebenfalls noch vom Menschen gestellt. Der Mensch programmiert das künstliche neuronale Netz und kontrolliert den Lernprozess. Am Ende entziehen sich aber die einzelnen Verarbeitungsschritte der menschlichen Kontrolle und stellen gleichsam eine „Black Box“ dar. Vor diesem Hintergrund müsse auch die Frage erlaubt sein, ob Technologie entwickelt werde, die wir später nicht mehr kontrollieren können.

Schmittner sieht im notariellen Bereich derzeit keine KI-Systeme, die die notarielle persönliche Beratungsleistung ersetzen könnten. Der richtige Umgang mit unvollständigen Informationen, deren Interpretation und jede kontextbezogene Anwendung seien hochkomplexe Vorgänge. Im Bereich der herkömmlichen Expertensysteme, bei denen die Algorithmen bekannt und fachgerecht programmiert werden, gebe es dagegen im Notariat noch Luft nach oben.

 

2. Blockchain – Methode und Bedeutung für die notarielle Praxis

Vielfach durch die Presse gingen in letzter Zeit Berichte über „Blockchain“. Die neue Technologie solle zum Beispiel den Notar bei Immobilientransaktionen überflüssig machen. Auch andere Intermediäre wie Banken bei Finanztransaktionen seien möglicherweise zukünftig nicht mehr nötig.

Notarassessor Dr. Johannes Hushahn, BNotK. (©Deutscher Notarverein)

Worum handelt es sich bei „Blockchain“? Ist das tatsächlich eine digitale Anwendung, mit der sich der notarielle Berufsstand intensiver beschäftigen muss? Notarassessor Dr. Johannes Hushahn, derzeit bei der Bundesnotarkammer in Berlin, hatte sich in das Thema eingearbeitet und präsentierte seine Erkenntnisse.

Die Blockchain-Methode sei vor allem, so Hushahn, durch die nichtstaatliche Währung „Bitcoin“ bekannt geworden. Kennzeichnend für Blockchain sei daher ein antistaatlicher und dezentraler Ansatz. Letztlich geht es um etwas Ähnliches wie eine Signaturprüfung. Die uns bekannte und auch von uns Notaren verwendete Signaturtechnik kennt im Gegensatz zum Blockchain jedoch eine zentrale (staatliche) Autorität bzw. Prüfstelle. Die technische Idee hinter der Blockchain-Methode sei, dass eine Datenbank dezentral in Blöcken gespeichert werde. Jeder Block habe dann eine Kopie der ursprünglichen Datenbank. Durch die Verteilung der Daten auf viele Nutzer könne der Einzelne keine Veränderungen vornehmen. Bei Abweichungen zwischen einzelnen dezentralen Elementen entscheide die Mehrheit aller Einzelblöcke. Abweichungen können leicht erkannt werden, weil nicht die kompletten Datensätze verglichen werden, sondern sogenannte Hashwerte, gleichsam digitale Fingerabdrücke.

Hushahn erläuterte weiter, dass sich die Blockchain tendenziell ausdehne (viele dezentrale Kopien/Blocks) und große Rechenleistungen verschlinge, was auch ein zentrales Problem der Technik darstelle. Der notwendige Stromverbrauch für die benötigte Rechenleistung mache die Blockchain-Methode daher vermutlich tendenziell unwirtschaftlich. Weiter könne eine Blockchain zwar möglicherweise eine „Signaturfunktion“ übernehmen, nicht jedoch die individuelle Beratung eines qualifizierten Juristen. Außerdem existieren weitere ungelöste Probleme, angefangen von manipulierbaren Benutzeroberflächen bis hin zur Machtkonzentration bei denjenigen Privaten, die die größten Rechenleistungen vorhalten können. Die als großer Vorteil der Technologie beschriebene Staatsfreiheit könne gerade dann zum Problem werden.

 

3. Urkundenarchiv 2.0 – Auskunftsbereich und Ausfertigungsregister

Notar Jens Kirchner aus München führte sodann in das elektronische Urkundenarchiv ein. Dabei unterschied er zwischen einem Urkundenarchiv 1.0, das sich derzeit bereits auf der gesetzgeberischen Zielgeraden befinde, und einem Urkundenarchiv 2.0, mit dem eine Zukunftsvision beschrieben werden soll.

Notar Jens Kirchner, München. (©Deutscher Notarverein)

Zum Urkundenarchiv 1.0 verwies Kirchner zunächst auf den Regierungsentwurf vom 12.10.2016, der noch in dieser Legislaturperiode vom Bundestag verabschiedet werden solle. Mit dem elektronischen Urkundenarchiv soll vor allem der (teuren) Problematik der Papierurkundenverwahrung mittel- und langfristig begegnet werden. Die Landesjustizverwaltungen hatten insbesondere den Wunsch nach kostengünstigen Lösungen vorgetragen. Bei der Entwicklung des elektronischen Urkundenarchivs hätten Sicherheitsfragen an erster Stelle gestanden. So werde es keinen Zentralschlüssel zum Urkundenarchiv geben. Vielmehr müsse man sich das zukünftige Urkundenarchiv so vorstellen, dass jeder Berufsträger exklusiven Zugang zu demjenigen (elektronischen) Raum erhält, in dem seine Urkunden verwahrt werden. Darüber hinaus sei jede einzelne Urkunde in diesem Raum weiter verschlüsselt. Auch die sichere technische Übermittlung aus dem Notariat in das elektronische Archiv sei geregelt worden. Zukünftig werden die Notarinnen und Notare daher ihre Urschriften sämtlich scannen und in das elektronische Urkundenarchiv einstellen. Parallel werde es für einen längeren Zeitraum auch noch eine Papierverwahrung geben.

Spannend, so Kirchner, sei es nun, sich über Folgeanwendungen und somit das Urkundenarchiv 2.0 Gedanken zu machen. Dabei gehe es darum, die elektronisch gespeicherten Urkunden bzw. elektronischen Fassungen der Urschrift wieder dem Rechtsverkehr zugänglich zu machen. So könne etwa über einen eigenen „Auskunftsbereich“ nachgedacht werden. In diesen Bereich eingestellte Urkunden könnten dann berechtigten Personen, zum Beispiel auch Gerichten, zugänglich gemacht werden. Eine weitere Anwendung sei ein sogenanntes Titel- und Ausfertigungsregister. Das Problem der elektronischen Urkunde sei bisher, dass es eine elektronische Urschrift oder eine elektronische Ausfertigung und auch einen elektronischen Vollstreckungstitel nicht gebe. Elektronische Dokumente seien vielmehr beliebig kopierbar. Bisher sei es daher ein Problem, die „Ausfertigung“ in der elektronischen Welt nachzubilden. Das Urkundenarchiv könne hier zukünftig Abhilfe schaffen und zwar über eine Registerlösung. Wenn die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung oder der Ausfertigung einer Vollmachtsurkunde im Urkundenarchiv in einem Titel- und Ausfertigungsregister registriert würde, könnte das Problem der beliebigen Vervielfältigung über das Register gelöst werden.

Insgesamt werde sich das zunächst aufwendig zu realisierende Urkundenarchiv für die Notare vermutlich als sehr ertragreich erweisen und die notarielle Urkunde auch in der elektronischen Welt etablieren helfen.

 

4. Diskussion

An der folgenden Diskussion beteiligte sich zusätzlich zu den Referenten Torsten Rienaß von der Procilon IT-Solution GmbH in Leipzig.

Zum Thema Blockchain wurde nach den Interessen hinter dieser Methode gefragt. Die Teilnehmer des Podiums äußerten die Vermutung, dass die Methode insgesamt zu stark gehypt worden sei. Hier sei viel Risikokapital investiert worden und nun werde mit einer (angeblichen) Lösung (Blockchain) nach möglichen Problemen gesucht, anstatt vom Problem zur Lösung voranzuschreiten.

Notar Prof. Dr. Stefan Zimmermann, Köln, Ehrenpräsident des Deutschen Notarvereins, während der Diskussion. (©Deutscher Notarverein)

Kritisch diskutiert wurde von den Teilnehmern die Macht des Algorithmus. Werden wir das Leben dem Algorithmus anpassen oder wird auch zukünftig noch Raum für individuelle Beratung und die individuelle von der Norm abweichende Lösung verbleiben? Und wer prüft die Integrität von Algorithmen oder von Vertragsmustern (smart contracts), die von Computern generiert werden?

Kirchner betonte umgekehrt das im Notariat noch nicht ausgeschöpfte Potential der Digitalisierung. Ziel sollte zum Beispiel sein, Datensätze möglichst einmalig zu erfassen und sodann für verschiedene Anwendungen (Handelsregister/Grundbuch/Vorsorgeregister/Zentrales Testamentsregister/elektronisches Urkundenarchiv) immer wieder zu verwenden. Dadurch könne viel Schreibarbeit gespart werden. Vorrangiges Ziel solcher Einsparungen sollte es aber immer sein, mehr Zeit auf die nicht ersetzbaren kommunikativen und beratenden Bestandteile des Beurkundungsverfahrens zu verwenden.

 

IV. Abend- und Rahmenprogramm

Zu einer Tagung Berufspolitik gehört traditionellerweise auch die Gelegenheit zum kollegialen und fachlichen Austausch unter den Teilnehmern. In der Classic Remise, einem Kompetenzzentrum für Oldtimer, konnten die Gespräche daher in lockerer Form während des Abendessens fortgeführt werden. Und wer der Zukunftsthemen überdrüssig geworden war, konnte zum Ausgleich in die Vergangenheit reisen und an einer Oldtimer-Führung teilnehmen.

 

V. Bauvertragsrecht und Bauträgerrecht

Ein Klassiker der notariellen Tätigkeit stand am folgenden Morgen auf dem Programm: das Bauvertrags- und Bauträgerrecht. Unter der Moderation von Notar Eckart Maaß, Jena, Vorstandsmitglied im Deutschen Notarverein, kamen nun auch die mehr an fachlichem Austausch Interessierten unter den Teilnehmern auf ihre Kosten.

Volker Kluitmann, Direktor der Stadtsparkasse Düsseldorf, Notar Jeroen Schoot, Dötinchem, Niederlande, Rechtsanwalt Rolf Zimmermanns, Baugewerbliche Verbände NRW, Notar Eckart Maaß, Jena, Notar Dr. Gregor Rieger, Prien am Chiemsee, Notar Professor Dr. Stefan Hügel, Weimar, Präsident der Notarkammer Thüringen, Dr. Martin Illmer, Hamburg (v. li. n. re.). (©Deutscher Notarverein)

 

1. Neues Bauvertragsrecht und (altes) Werkvertragsrecht

Den Auftakt gestaltete Dr. Martin Illmer aus Hamburg (derzeit Lehrstuhlvertreter in Mainz). Dieser setzt sich in seiner noch nicht veröffentlichten Habilitationsschrift „Strukturen eines Dienstleistungsvertragsrechts“ unter anderem auch mit dem Werkvertrag und den aktuellen Reformbemühungen des deutschen Gesetzgebers auseinander.

Dr. Martin Illmer, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg. (©Deutscher Notarverein)

Zunächst berichtete Illmer aus historischer Perspektive, dass das Werkvertragsrecht seit dem Inkrafttreten des BGB kaum verändert worden sei. Die geplante Reform des Bauvertragsrechts stelle die größte Änderung seit 1900 dar. Insbesondere im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung sei das Werkvertragsrecht nicht grundlegend überarbeitet worden. Das BGB-Werkvertragsrecht sei ursprünglich für einfache körperliche  Werke konzipiert worden. Dem historischen Gesetzgeber habe zum Beispiel die Reparatur von Schuhen vor Augen gestanden, nicht jedoch heute übliche hochkomplexe und sich über längere Zeiträume erstreckende Werkleistungen. Daher sei schon bald nach Inkrafttreten des BGB in der Bauwirtschaft ein Bedarf an passenderen Regeln entstanden. Mit den VOB/B habe sich sodann ein neben dem Gesetz stehendes Leitbild etablieren können.

2013 habe sich eine vom Bundesjustizministerium eingesetzte Arbeitsgruppe mit der Reform des Bauvertragsrechts beschäftigt. Anlass war unter anderem die AGB-Rechtsprechung zu den VOB/B. Im März 2016 wurde ein Entwurf der Bundesregierung vorgelegt.

Illmer untersuchte sodann die Frage, ob sich die Beschränkung der neuen Regelungen auf das Bauvertragsrecht rechtfertigen lasse. Im Ergebnis verneinte er diese Frage mit der überzeugenden Begründung, dass die für die Reform angeführten Gründe (Komplexität und lange Dauer der Errichtung eines Bauwerks) kein Alleinstellungsmerkmal des Bauvertrages darstellen würden. Andere Werkverträge, etwa im IT-Bereich, würden ähnliche Strukturen aufweisen. Auch das Verbraucherschutzkonzept des neuen Bauvertragsrechts sei nicht ausgereift, da von den Regelungen noch nicht einmal alle Bauverträge umfasst seien.

Insgesamt werde die Reform wegen der zu engen Aufgabenstellung (Bauvertragsrecht statt Werkvertragsrecht) zu wenig durchdachten und im Gesamtsystem inkonsistenten Ergebnissen führen. Der Gesetzgeber, so Illmer, habe eine Chance vertan, das insgesamt reformbedürftige Werkvertragsrecht zu modernisieren.

 

2. Abnahme des Gemeinschaftseigentums

Notar Professor Dr. Stefan Hügel, Weimar, Präsident der Notarkammer Thüringen, referierte anschließend zu einem die notarielle Praxis immer wieder vor große Schwierigkeiten stellenden Problem: die Abnahme des Gemeinschaftseigentums im Rahmen der Errichtung von Wohnungseigentumsanlagen.

Notar Professor Dr. Stefan Hügel, Weimar, Präsident der Notarkammer Thüringen. (©Deutscher Notarverein)

Es werde intensiv diskutiert, wer für die Abnahme des Gemeinschaftseigentums zuständig sei. Auf der einen Seite des Spektrums gebe es die eher den individuellen Rechtsschutz aus dem Kauf- bzw. Bauvertrag propagierenden Stimmen, die sich für eine individuelle Abnahme aussprechen. Vor der die Rechtsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft umsetzenden WEG-Reform war das wohl auch der Stand der Dinge. Auf der anderen Seite stehen die Stimmen, die den gemeinschaftlichen Aspekt betonen. Da die Abnahme der Vorbereitung etwaiger Mängelrechte diene und die Mängelrechte bei Gemeinschaftseigentum nur gemeinsam ausgeübt werden könnten, sei auch die Abnahme Aufgabe und Zuständigkeit der Gemeinschaft. Die wohl herrschende Meinung in der wohnungseigentumsrechtlichen Literatur scheint dagegen zu differenzieren. Die Wohnungseigentümergemeinschaft sei zuständig, wenn entsprechende Beschlüsse gefasst würden und die Gemeinschaft die Zuständigkeit an sich ziehe.

Für die Praxis sei der Meinungsstreit misslich und letztlich nur dadurch zu lösen, dass die Vertragsgestaltung sowohl die Abnahme durch den Verband als auch durch den einzelnen Wohnungseigentümer vorsehe. Auf der Ebene der Verjährung bedeutet dies aber für die Bauträger insbesondere in Nachzüglerfällen erheblich verlängerte Fristen für die Haftung für Sachmängel beachten zu müssen.

Hügel schilderte sehr plastisch die praktische Bedeutung des Problems. Beim Bau einer Eigentumswohnungsanlage stehen Gemeinschafts- und Sondereigentum im Verhältnis 95:5 Prozent. Die individuelle Abnahme des Gemeinschaftseigentums stelle vor diesem Hintergrund auch praktisch eher eine Fiktion dar. Der typische Wohnungskäufer nimmt üblicherweise sein Sondereigentum ab, wird aber kaum willens und in der Lage sein, das gesamte Gemeinschaftseigentum zu beurteilen und abzunehmen. Bei der werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft stelle sich noch das Sonderproblem, ab welchem Zeitpunkt die Eigentümergemeinschaft im Hinblick auf eine etwaige Abnahme überhaupt handlungsfähig werde. Möglicherweise müsse der Gesetzgeber über eine Korrektur im WEG Abhilfe schaffen.

 

3. Gesetzgeberische Perspektiven im Bauträgerrecht

Zu möglichen Reformüberlegungen im Bauträgerrecht referierte zuletzt Notar Dr. Gregor Rieger, Prien am Chiemsee. Die MaBV-Lösung stehe in der Kritik. Bei einer Insolvenz des Bauträgers ist dem Erwerber ein Rücktritt vom Vertrag wirtschaftlich häufig nicht möglich oder nicht zumutbar, da die Rückzahlung der geleisteten Raten nicht sichergestellt sei. Das Fertigstellungsrisiko werde daher dem Erwerber aufgebürdet. In besonderem Maße gelte das für die Insolvenz des Bauträgers im Geschosswohnungsbau.

Notar Dr. Gregor Rieger, Prien am Chiemsee. (©Deutscher Notarverein)

De lege ferenda werde über unterschiedliche Lösungsmodelle diskutiert. So sei denkbar, dass der Bauträger eine Rückzahlungsbürgschaft stelle, unabhängig vom erreichten Bautenstand, mit dem die Rückzahlung der gezahlten Raten gesichert würde. Damit wäre im Krisenfall eine vollständige Rückabwicklung gewährleistet. Weiter könne über Erfüllungssicherheiten nachgedacht werden. Außerdem sei denkbar, die Vorfinanzierung dem Bauträger aufzuerlegen und lediglich eine Schlusszahlung durch den Erwerber vorzusehen. Die einfachste Lösung sei sicherlich die zuletzt genannte Zahlung am Schluss, eventuell kombiniert mit einer vom Erwerber zu stellenden Bürgschaft als Kompensation für das Insolvenzrisiko des Erwerbers. Im Ergebnis seien sämtliche Modelle nicht gratis zu haben. Die vollständige Absicherung des Erwerberrisikos müsse von irgendeiner Seite bezahlt werden und werde letztlich den Bauträgervertrag verteuern.

 

4. Diskussion
Notar Jeroen Schoot, Dötinchem, Niederlande. (©Deutscher Notarverein)

An der folgenden Diskussion nahmen zusätzlich zu den Referenten Rechtsanwalt Rolf Zimmermanns von den Baugewerblichen Verbänden NRW, Notar Jeroen Schoot aus den Niederlanden sowie Volker Kluitmann, Direktor der Stadtsparkasse Düsseldorf teil.

Rechtsanwalt Rolf Zimmermanns, Baugewerbliche Verbände NRW. (©Deutscher Notarverein)

Insbesondere der niederländische Kollege stellte ein interessantes „Versicherungsmodell“ vor, das in den Niederlanden praktiziert werde. Dort hätten sich die meisten Bauunternehmen in einem Verband zusammengeschlossen, um den Krisenfall (Insolvenz/steckengebliebener Bau) gemeinschaftlich zu lösen. Letztlich garantieren damit die vereinten Bauunternehmen entweder die Fertigstellung oder aber eine angemessene Entschädigung. Jedes dem Verband angeschlossene Bauunternehmen zahle für diese solidarische Haftung eine Prämie.

 

Volker Kluitmann, Direktor der Stadtsparkasse Düsseldorf. (©Deutscher Notarverein)

Notar a. D. Dr. Hans Wolfsteiner, München wies in der Diskussion darauf hin, dass es sich bei den Abschlagzahlungen nach der MaBV tatsächlich nicht um Abschlagzahlungen, sondern zumindest teilweise auch um Vorauszahlungen handele. Der Erwerber gebe dem Bauträger Kredit, wenn er nicht nur die Substanz, sondern auch dessen Rohgewinn vorfinanziere.

Volker Kluitmann von der Stadtsparkasse Düsseldorf erläuterte, dass er beim derzeitigen Zinsniveau durchaus häufiger mit Bauträgern zu tun habe, die aus Eigeninteresse eine Endfälligkeit vereinbaren würden. Damit könnten erhebliche Verwaltungskosten für die Dokumentation des Baufortschritts und die Fälligstellung und Eintreibung der einzelnen Raten gespart werden. Auch auf Seiten der Bank entstünden beim klassischen MaBV-Modell hohe interne Verwaltungsaufwendungen. Zimmermanns, als Vertreter der Bauwirtschaft, wünschte sich dagegen eher eine gesetzgeberische Lösung.

VI. Schlusswort

Das Schlusswort war dem Präsidenten des Deutschen Notarvereins vorbehalten. Diesem fielen drei prominente Buchtitel ein, um die Ergebnisse der Tagung auf den Punkt zu bringen.

Lenin veröffentlichte 1902 seine Schrift „Was tun?“. Diese Frage passe auch zur digitalen Öffentlichkeitsarbeit der Notare. Wie die Referenten am ersten Tag eindrücklich gezeigt hätten, würden die notariellen Berufsverbände um eine neue Strategie für die Öffentlichkeitsarbeit nicht herumkommen. Die sozialen Medien seien da, über diese werde Einfluss ausgeübt und auch die Notare sollten diese digitalen Medien nicht vernachlässigen. Verantwortlich für die Konzeption seien dabei die zentral agierenden Verbände, die möglicherweise ihre Entscheidungsfreude, Meinungs- und Nervenstärke noch steigern könnten. Die einzelnen Berufsträger seien für die Umsetzung und als Verteiler und Knotenpunkte beim Zugang zu den sozialen Netzwerken ebenfalls wichtig.

Notar Dr. Oliver Vossius, München, Präsident des Deutschen Notarvereins, spricht zu den Teilnehmern. (©Deutscher Notarverein)

Notar Dr. Oliver Vossius, München, Präsident des Deutschen Notarvereins, spricht zu den Teilnehmern.

Vossius musste bei der digitalen Revolution der notariellen Arbeit an Joseph Esser denken, der zum Thema „Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtspflege“ 1972 Fragen stellte. Wessen Vorverständnis ist für die Wahl der Methode entscheidend? Wer definiert den Algorithmus? Wer entscheidet über die Standards? Als Notare sollten wir hier selbstbewusst mitbestimmen. Die bereits etablierten Register und das neue zentrale Urkundenarchiv bieten die beste Gelegenheit, die digitale Infrastruktur zumindest im Rechtsraum mitzugestalten. Diese Gestaltungsaufgabe sollte angenommen werden.

1840 veröffentlichte Carl Friedrich von Savigny seine berühmte Schrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“. Dieser Titel hätte, so Vossius, auch über den Diskussionen zum Bauvertrags- und Bauträgerrecht stehen können. Umfassend durchdachte und in sich stimmige Regelungen bedürfen der sorgfältigen Diskussion und Abwägung. Im Bauträgerrecht gelte: Die Minimierung von Risiken koste Geld, denn „there is no such thing as a free lunch“ und am Ende müsse irgendwer die Rechnung zahlen.

Die Teilnehmer bedankten sich zuletzt mit lebhaftem Applaus für eine überaus anregende, kurzweilige, gut organisierte und ertragreiche Tagung. Genug Stoff zur Formulierung und Umsetzung einer Agenda 2020 liegt nun auf dem Tisch. Packen wir es an!

Andreas Schmitz-Vornmoor ist Notar in Remscheid und Schriftleiter der Zeitschrift notar.

E-Mail: asv@notare-svk.de

 

[1] Bei der Wiedergabe dieses Referates und des folgenden Referates zur Blockchain-Methode bittet der Verfasser des Tagungsberichts um Nachsicht, wenn er technische Details mangels eigener Expertise möglicherweise nicht vollständig korrekt dargestellt hat.

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